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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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hoch.
    »Für Frauen lasse ich mir das noch gefallen. Aber du als ausgewachsener Mann
    »Das hat damit gar nichts zu tun. Wir Menschen von heute sind alle irgendwie verkrampft »Findest du?«
    »...und diese Übungen... also gerade bei meinem Beruf... mir fällt einfach mehr ein, wenn ich mich regelmäßig entspanne.«
    »Und was kostet der Scherz?«
    »Zehn Mark die Stunde.«
    »Da atme ich aber billiger, du! Ohne Anstrengung.«
    »Erst hingehen, dann urteilen!«
    Es entstand eine Pause.
    »Was macht eigentlich Sylvia?« fragte Peter unvermittelt. — Lukas hob die Schultern.
    »Ich denke, nach der Nacht
    »Du sollst nicht denken, du sollst dich entspannen. Aber wenn du es genau wissen willst: Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.«

    Es hatte geklappt. Nicht viel, aber doch erfreulich. Gestaltung des Einbandes für ein Jugendbuch, erster Auftrag eines Verlegers, für den er schon immer arbeiten wollte. Lukas saß am Zeichentisch und heftete das Schreiben liebevoll in einen Ordner. Die Sache war doppelt erfreulich, schon weil Donicke für den gleichen Verlag tätig war. Sicher hatte der Ehrgeizling auch für dieses Buch längst einen Entwurf eingereicht, aber Lukas besaß den Auftrag. Schwarz auf weiß. Doch wie immer, wenn ihm Erfreuliches widerfuhr, reagierte er nicht etwa mit erhöhter Tatkraft, sondern — mit Hunger.
    Das Lokal, seinem Atelier schräg gegenüber, lag für zahlreiche Mittagspäusler — aus der Akademie, vom zahntechnischen Labor, vom Schreibbüro und aus dem Automobilklub — so günstig, daß der Pächter es sich leisten konnte, die Gäste täglich mit derselben freudlosen Soße zu empfangen. Darüber hinaus hatte der Pfennigfuchser, um ja keines Menüs verlustig zu gehen, für seine Stammkunden straffe Essenszeiten eingeführt. Lukas rangierte als Einzelgänger bei den Schreibfräuleins, erfahrenen Lottotipperinnen, ans Grau des Alltags gefesselt. Heute aber umfing ihn Jugend, Jugend von jener anstrengenden Spielart, die ihre musische Orientierung mangels bewiesenen Talents in betont exzentrischer Kleidung sowie aufdringlicher Eigenwilligkeit zur Schau stellt, Kämpfer gegen die bürgerliche Herkunft in sich, Träumer vor der läuternden Enttäuschung — die Malklasse. Das schlauchartige Lokal schien zu bersten; in allen Variationen, die ein Stuhl zuläßt, hockten, fläzten, kauerten Gestalten, als gelte es für sämtliche anatomisch vertretbaren Stellungen Modell zu sitzen. Lukas meinte, er habe noch nie so viele Beine gesehen. Und darüber ein Gefuchtel von Armen, weltumspannende Pantomime schwer erziehbarer Kinder. Das war kein deutscher »Schnellimbiß« mehr, das war ein »ristorante«.
    Er wollte schon wieder gehen, als an der Expreßtheke ein Hocker frei wurde. Schnell kletterte er hinauf, die sich sofort verengende Lücke mit raumgreifendem Zurechtrücken wieder erweiternd. Er wählte ein Schnellgericht und quittierte den strafenden Blick des Pächters mit der zusätzlichen Bestellung einer Schildkrötensuppe. Schildkrötensuppen dauern. Die kleine Menge aus der Blechdose, für den Büchsenöffner fast schon zu eng, beansprucht auf dem Herd eine ganze Feuerstelle. Wo sie steht, steht sie im Weg und muß deshalb ständig größeren Portionen weichen, was ihre Erwärmung naturgemäß verzögert. Glücklicherweise aber entpuppte sich der linke Nachbar als besonders langsamer Zeitungsleser, so daß Lukas ungestört an sämtlichen Ereignissen der Seite partizipieren konnte. Jetzt hätte prompte Bedienung nur gestört. Nach der aufreibenden Dirnentragödie mußte er seinen Kappenmuskel entspannen und lehnte sich zurück.
    Da saß Sie !
    Drei Plätze weiter in derselben Reihe. Zierlich, aufrecht in einem gelben Kleid, zwischen den Radrennfahrerbuckeln hastiger Mampfer. Kurzes braunes Haar, nach außen aufgedreht. Schmale Gelenke.
    »Für dich!« sagte eine Stimme in Lukas.
    Auch sie schien die Stimme gehört zu haben und wandte den Kopf.
    Gainsborough: Lady Graham in spanischer Tracht, dachte er.
    »Hier, Ihre Suppe!« muffelte der Wirt.

    >Ich werde sie wiedersehen! Das weiß ich ganz genau!< Lukas saß in seinem Atelier und stierte durch die Wand. Behaglich gähnte er sich die freudige Anspannung von der Seele. Keine Pflicht rief, keine Arbeit drängte, er erkannte die Zukunft und hatte plötzlich Zeit. Raus aus der Enge, aus der Stadt, aus den Kleidern! Wasser! Er fuhr nach Hause, holte seine neue Badehose und weihte sie ein.

    Der Schnellimbiß gewann an Anziehungskraft. Lukas aß

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