Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
— ein Riesenmolch des Trias. »Unser Untermieter, Herr Dornberg — Professor Bärenkämper und seine Assistentin, Fräulein Heidrun«, stellte Gustl vor. Die Prozedur wiederholte sich bei Hubert. Alma reichte Plätzchen und Reiswein. Der Molch betastete die persische Kugellampe.
    »Eine wundervolle Arbeit.«
    »Wir wollen noch auf die anderen warten«, sagte Alma. Man schwieg feierlich-duldend. Auf der rechten Couch saßen Hubert und der Molch; in der Mitte Gustl. Schließlich hielt sie es zwischen den Spannungsfeldern heiterer Gelassenheit auf der einen und absichtsvoller Absichtslosigkeit auf der anderen Seite nicht mehr aus. »Worüber werden Sie heute sprechen, Professor?«
    »Ich will erst den Tanz abwarten.«
    »Sprechen Sie doch über die Mitte, das hat mich neulich so beeindruckt.«
    »Ja, ja«, sagte Hubert gepreßt und nahm sich ein Plätzchen. Peter und Ines kamen. Sie begrüßten Hubert und Lukas nicht wie Freunde, sondern gemessen als Mitglieder des Studios. Ihnen folgten noch drei Neutren mit unwesentlichen weiblichen Merkmalen, Gebilde aus Caritas und Lebensangst. Eine davon kam Lukas bekannt vor. Richtig! Sie gehörte zu seiner Schicht im Schnellimbiß. Die Schreibkraft mit der eigenen Maggiflasche, die immer am Fenster saß!
    Gustl erhob sich und öffnete die Flügeltür. Man begab sich nach nebenan. Leerer Raum gleichen Aromas, von einem beigen Teppich beherrscht. Im Hintergrund ein Flügel, gegenüber, wie aus einer Puppenstube, die winzigen Asconahockerchen, »Piccolo quadrato«.
    Schweigend wurde Platz genommen, schweigend verharrt. Das Geknatter eines draußen vorbeifahrenden Motorrades füllte die Pause mit Gegenwart.
    Endlich erschien — vom Korridor her — die schwarzgewandete Alma. Starr, ins Ungewisse konzentriert, betrat sie mit bloßen Füßen im zögernd-schleifenden Schritt der Versunkenen die Thingstätte aus Velour. Reglos verharrte sie für einige Sekunden in der Mitte und stemmte sich krampfhaft auf die nächste Stufe der Entrückung. Ein edles Schnauben wurde hörbar, dann gab Gustl den Tanz bekannt:
    »Wissende.«
    Ohne jegliche Musikunterstützung, nur vom eigenen Schnaufen begleitet, sank Alma in jene artistisch anmutende Hockstellung, in der Negerfrauen ihre Kinder zu gebären pflegen. Plötzlich drehte sie den Kopf — nach links, nach rechts, streckte die Arme aus, rollte mit den Augen und kugelte im Purzelbaum vornüber. In der Nebenwohnung schrillte das Telefon.
    Nun hob Alma die Beine an, einzeln, Zoll um Zoll; unter dramatischem Schnauben rutschte der lange Rock auf Zensurhöhe, und schon stand sie auf dem Kopf. Wunder der Geschmeidigkeit! Ein neuerliches Fremdgeräusch unterbrach die ausdrucksvolle Andacht. Es klang nach Verdauungskomplikationen, nach ärgerlich wallenden Magensäften. Eines der Neutren beugte sich vor, es wurde wieder still.
    Alma befand sich zu diesem Zeitpunkt in der äußersten Ecke der teuren Versenkungswiese, die Hände mit den keineswegs gelösten Fingern zitternd gegen die Schläfen gepreßt. Die Wissende schien ihres Wissens gewahr geworden und brach erneut zusammen. Diesmal auf den Bauch. In der darüberliegenden Etage lief ein Bad ein. Lukas schaute auf die Uhr: halb acht. Hm. Sicher ein Schwererkälteter, der anschließend schwitzen muß! Alma rotierte auf dem Steißbein, die großen Füße mit den herben Überbeinen innen, am Ansatz der großen Zehen, flink um sich schlenkernd. Das Wassergeräusch wurde stärker. Der Kranke ließ kaltes zu. Ein Auto fuhr vorbei — Zweitakter, zu fett gemischt.
    Alma stand. Steil und schmal, wie eine stromlinienförmige Reisemadonna auf einem Hotelnachttisch. Kein Wunder, daß diese Beletage-Pietà die Magensäfte des Neutrums erneut in Wallung brachte. Es lehnte sich brüsk zurück, in die Ausdruckspose: »Verdauende«! Der Erkältete oben hatte das Kalte wieder abgedreht und begann dezent zu plätschern. In der Nachbarwohnung schrillte abermals das Telefon.
    Wahrscheinlich ist der Gatte endlich abgereist, und der Liebhaber ruft zurück, um sich zu vergewissern, dachte Lukas.
    Jetzt hüpfte die schon recht fortgeschrittene Wissende jungfräulich durch imaginären Tau. Dann kauerte sie sich erneut in den afrikanischen Muttersitz, legte die Hände flach auf den Teppich und schlug den keimfreien Blick bekräftigend nieder, als wolle sie sagen: »Ich danke Ihnen für dieses gute Gespräch!«
    Das Wunder »Mensch« kam nicht mehr zur Ruhe. Sosehr sich die Verdauende auch mühte, durch ruckartige

Weitere Kostenlose Bücher