Bekentnisse eines möblierten Herren
Plastikschale auf chromglitzerndem Gitterwerk umschloß ihren schmalen Rücken nach neuesten medizinisch-orthopädischen Erkenntnissen. — »Paßform«.
An Alma war alles schmal. Kopf, Frisur, die hochgeschlossene Bluse, der enge Rock gaben ihr, bis zum Knie betrachtet, die vornehme Strenge einer englischen Hausdame, die — wenn man auch die nackten Füße in den Holzsandalen mit einbezog — durch langen Aufenthalt in den Tropen Ruhe und Trost in fernöstlichen Versenkungspraktiken gefunden hat.
»Encore une tasse?« fragte sie, die Kanne einladend geneigt.
»Non, non, non, ma chère, merci!« Gustl setzte die leere Schale neben das kugelrunde Filigran der persischen Öllampe auf den Kacheltisch, »j’ai encore une lection à donner. Pierre, tu sais!«
Marina streckte sich auf dem dicken Schafwollteppich und bekam, noch ehe sie wieder bellbereit, eine Handvoll Studentenfutter. Gustl war aufgestanden und schritt, die Hände auf dem Rücken, wissenschaftlerisch durch den Raum. Vom Wehstuhl zu Barlachs »Bettlerin« in Bronze; an der kleinen Staffelei vorbei zu dem Chagall-Kunstdruck »Kuh auf dem Dach«; die Wand mit den Noldes entlang bis zur Couch und wieder zum Webstuhl; barfuß, in Hosen und einem weiten Fuhrmannskittel — kultisch-vegetarisch.
»Alors on fait une ratatouille ce soir?«
Alma zuckte ergeben mit den Schultern.
»Achète donc des tomates, des feuilles laitues, quelques oignons, aubergines, poivrons, courgettes...«
»Bitte, Gustl, du weißt, daß ich mir Gemüse auf französisch nicht merken kann.«
Gustl lehnte am Webstuhl.
»Grund genug, es endlich zu versuchen. Wir werden’s noch ganz verlernen. Aber was rede ich, du weißt ja, was in eine Ratatouille alles hineingehört.«
»Jetzt habe ich so viel Tee gemacht, und du trinkst keinen«, klagte Alma, das Geschirr zusammenräumend, »ich werde Herrn Dornberg fragen, ob er eine Tasse mag; vielleicht ist er da.«
»Sorg du nur für deinen Herrn Dornberg!«
»Bitte, Gustl! Ich weiß, du hast etwas gegen männliche Untermieter, dabei sind sie viel angenehmer als Frauen. Sie kochen nicht, sie waschen nicht, außerdem ist Herr Dornberg ein Freund von Ines und Peter.«
»Ja, ja, ja, ja, ja, schon gut, schon gut, schon gut. Bringe ihm seinen Tee ; ich muß mich jetzt konzentrieren... und... vergiß nicht die Ratatouille.«
Die Hände in die Hüften gestemmt, den Rücken zu Alma, stand Gustl in der offenen Tür ; der solide Nacken, das kurze, glatte Haar — von hinten konnte man wirklich glauben, sie sei ein Mann.
»Das ist reizend von Ihnen, Frau Negulescu! Bitte, wollen Sie sich nicht setzen?«
Er nahm ihr das Tablett ab und rückte den Sessel zurecht.
»Danke!«
Alma schenkte ein. Lukas haßte hellen Tee, er bevorzugte starken, auf europäische Art und aus richtigen Tassen, an denen man sich nicht die Finger verbrennt. Höflich nippte er an der Schale, während Alma sich umsah. Es war das erste Mal seit seinem Einzug, daß sie ihn besuchte. »Wie fühlen Sie sich eigentlich in so alten Möbeln? Sie sind doch ein junger Mensch.«
»Ich betrachte das nicht als Hinderungsgrund. Ich bin in alten Möbeln aufgewachsen
»Ich auch. Die Kommode, der Tisch, der Schrank sind noch von damals, aber schon in meiner Ehe — ich war mit einem Rumänen verheiratet — bin ich davon abgekommen. Rumänien ist ein sehr junges Land, was westliche Kultur anbelangt. Mein Mann hatte einfach keine Beziehung dazu, von einer gewissen Anfälligkeit für Gelsenkirchner Barock abgesehen. Aber das ist in allen Entwicklungsländern dasselbe. Und jetzt? Seit ich mit Gustl... ich meine mit der Baronin, zusammen lebe — ihr Mann war Edwin von Kauffmann, der Trikotagenkönig, der so grauenhaft umgekommen ist. Er kam bei einer Betriebsbesichtigung in einem Autowerk mit dem Mantel in eine Presse für Kotflügel; es stand damals in allen Zeitungen...»
Lukas beobachtete sie. Sehr guter Kopf und bemerkenswert schöne Hände, dachte er.
»Ja, wie kam ich jetzt darauf? Ach ja, also seitdem bin ich endgültig für moderne Raumgestaltung. Ich finde alte Möbel zu anspruchsvoll; sie sind so kompakt, so gegenwärtig, wollen bemerkt werden... man ist einfach gefangen. Ich male, wie Sie vielleicht wissen... ostisch... nur als Richtung. Und dieses Weglassen, dieses Auskommen mit wenigen Akzenten setzt eine innere Einstellung voraus... Abstand... den Raum wirken lassen... ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen können.«
»Doch, doch! Entmaterialisierung um des Geistigen
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