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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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jetzt regelmäßig mit der Malklasse. Es folgten die Zahntechniker, die Schreibmöpse, die Herren vom Automobilklub. Vier Tage lang wartete er vergebens. Enttäuscht kehrte er in sein Atelier zurück und spannte ein Blatt auf den Zeichentisch. Mit jedem Strich wuchs die Unruhe. Er legte den Bleistift weg.
    Es klingelte. Fast noch, bevor er die Tür geöffnet hatte, sah er ihr gelbes Kleid.
    »Guten Tag! Ich möchte Herrn Dornberg sprechen!«
    »Das bin ich...«
    »Ein Schulfreund von Ihnen schickt mich. Ich habe einen Brief für Sie.«
    »Bitte kommen Sie doch herein!«
    »Danke!«
    Mechanisch schloß Lukas die Tür. Er sah nichts, er hörte nichts. Jetzt, da sie da war, fiel ihm nichts mehr ein. »Bitte setzen Sie sich doch!«
    »Danke!«
    Sie gab ihm den Brief. Hölzern stand er da und hielt ihn mit beiden Händen.
    »Einen Augenblick bitte!«
    »Bitte!«
    Er öffnete den Umschlag. Er mußte das Blatt auf den Tisch legen und sich fest auf seine Hände stützen. Erst jetzt wirkte sich die Überraschung aus. Ein tiefer Atemzug — endlich kehrte, spärlich das Gehirn durchrieselnd, der kleine Kreislauf zurück, die tanzenden Buchstaben formierten sich zur Nachricht.
    Lieber Lukas, altes Haus!
    Sicher wirst Du erstaunt sein, von mir plötzlich einen Brief zu bekommen. Erinnerst Du Dich noch, wie wir vor drei Jahren die herrlichen Forellen gefangen haben? Das waren noch Zeiten! Die junge Dame, die Dir diesen Brief überbringt, ist Prinzessin Reiffenstein, eine Bekannte von uns. Sie möchte gern Kinderbücher illustrieren. Else und ich halten sie für sehr begäbt, und so dachten wir, Du könntest ihr vielleicht behilflich sein. Wenn Du mal wieder hier vorbeikommst, würden Else und ich uns sehr freuen...
    Dein Helmuth
    PS. Wir haben schon zwei Kinder! Wie steht’s mit Dir?

    Lukas stand über den Tisch gebeugt und tat, als lese er noch immer. Vorsichtig, ohne den Kopf zu bewegen, blickte er zu ihr hinüber. Das braune Haar, die grauen Augen, die schmale Nase, der volle, ungeschminkte Mund — von der Nähe sah sie eigentlich noch hübscher aus.
    »So, von Helmuth. Und um Kinderbücher handelt es sich«, steuerte er mit grammatikalischem Geschick an einer direkten Anrede vorbei. Sie antwortete nicht. Wartete sie etwa darauf, mit »Hoheit« angeredet zu werden? Eine noch distanziertere Formel als das unpersönliche »Sie«. Er richtete sich auf und gewahrte plötzlich eine umfangreiche Bildermappe auf ihrem Schoß.
    »Darf ich mal sehen?«
    Ein kindlich verzweifelter Blick traf ihn.
    »Ich weiß nicht... es sind nur Skizzen.«
    Er lächelte. Sie wurde rot.
    »Schauen Sie’s bitte nachher an, wenn ich weg bin. Es ist sonst... wie im Examen.«
    Sie hielt die Mappe mit beiden Händen fest. Schmale, sehr junge Hände. Oder kam ihm das nur so vor, weil die Nägel nicht lackiert waren?
    »Rauchen Sie?«
    »Danke, nein.«
    Sie lächelte, und er legte die Zigaretten wieder weg. Eine ungeheure Faszination ging von dem Mädchen aus. Aufrecht und wohlerzogen saß sie da in ihrem gelben Kleid. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, beschränkte sich jedoch weise, ersatzweise auf ihren Siegelring, der ihm erst jetzt auffiel.
    »Aber Ihren Ring darf ich sehen. Ich bin durch meinen Beruf sozusagen heraldisch vorbelastet.«
    »Bitte.«
    Noch ehe er sich über ihre Hand beugen konnte, hatte sie ihn abgestreift. Leicht vorgebeugt blieb er vor ihr stehen und betrachtete das Wappen derer von Reiffenstein.
    »...offener Helm mit geblatteter Helmdecke — eine neuere Fassung also«, stellte er sachkundig fest.
    »Mein Vater hat ihn mir anfertigen lassen.«
    Leise einatmend prüfte er ihre nähere Atmosphäre auf etwa beigemischte käufliche Essenzen. Nichts. Sie verwendete kein Parfüm. Mit einer festen Handbewegung gab er ihr den Ring zurück. Sie steckte ihn an den Finger und erhob sich.
    »Dann will ich Sie nicht länger aufhalten.«
    »Das tun Sie keineswegs. Zum Arbeiten ist es heute viel zu heiß«, antwortete er und bedauerte sofort die Aufforderung, die in diesen Worten lag.
    »Ich lasse Ihnen meine Mappe da. Wenn ich darf?«
    Ein kleines Lächeln kam zustande und füllte als erste gemeinsame Leistung die Pause. Was könnte ich nur sagen, damit sie nicht geht, dachte Lukas angestrengt.
    »Haben wir uns nicht neulich schon gesehen? Drüben im
    Lokal, glaube ich
    »Ja.«
    Sie schritt zur Tür.
    »Ich komme meist erst nach eins«, fuhr er fort. »Heute war ich früher dran, sah Sie aber nicht.«
    »Ich esse bei meiner Tante.

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