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Bel Ami

Bel Ami

Titel: Bel Ami Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Uhlmann
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sein staubbraunes, stoppliges Haar, das seinen großen Kopf noch lückenlos bedeckte. Seine Nase war so breit wie sein Mund schmal. Man musste schon einen genauen Blick in seine grünen Augen werfen, unter denen immer schwarze Augenringe waren, um zu erkennen, dass sein Äußeres trügerisch war. Sein Erscheinungsbild hätte die Kandidaten in Wer bin ich? alles Mögliche spekulieren lassen. Von Drogendealer über Boxtrainer bis Türsteher. Auf Hüter des Gesetzes wäre wohl keiner gekommen. An diesem Abend war sein Gesichtsausdruck zudem ziemlich ernst. Es fehlte das verschmitzte Lächeln, mit dem er mich immer an einen Lausbuben erinnerte, der gerade Eier geklaut hatte. Er war zu früh da gewesen und hatte einen Kaffee und eine Flasche Wasser vor sich stehen. Als er mich sah, stand er auf und reichte mir die Hand.
    »Willst also nicht über deine miserable Rückhand reden.«
    »Würde das was bringen?«
    Er schüttelte den Kopf und blickte mich dabei so resigniert und traurig an, dass ich unwillkürlich grinsen musste.
    »Hab schon bestellt«, sagte er. »Antipasti, Risotto. Hatte Hunger.«
    Nach einem kurzen Blick in die Karte entschied ich mich für Miesmuscheln und ein Tonicwasser.
    »Reicht das?«
    Wolfgang hatte die Tendenz, Fett anzusetzen, und deshalb ständig ein schlechtes Gewissen beim Essen. Dass andere freiwillig nur wenig aßen, konnte er nicht verstehen.
    »Schieß los! Wo drückt’s?«
    In den Jahren unserer Freundschaft hatte ich mich an Wolfgangs leise Stimme, seine direkte Art und die knappen Formulierungen gewöhnt. Ich spreche normalerweise viel und laut, in seiner Gegenwart fiel mir das jedoch schwer. Dankbar nahm ich das Tonicwasser entgegen, trank in großen Schlucken und begann zu erzählen, kurz und knapp – für meine Verhältnisse.
    Wolfgang hörte mir schweigend und reglos zu. Nur als der Kellner unser Essen auftrug, veränderte er kurz seine Position. Dann ließ er mich weiterreden.
    »Hm.«
    Ich sah ihn erwartungsvoll an.
    »Lass uns essen. Wird sonst kalt!«
    Nachdem alle Auberginen-, Karotten-, Paprika- und Zucchini-Streifen in seinem Mund verschwunden waren, wandte er sich dem Risotto zu und kaute schweigend. Ich wusste, dass er sich beim Essen ungern stören ließ, konnte mich aber trotzdem kaum gedulden.
    »Gut?«
    »Was soll gut sein?«
    »Die Muscheln!«
    »Ja, ähm … Ehrlich gesagt, hab ich gar nicht drauf geachtet!«
    Wolfgang schüttelte missbilligend den Kopf und kratzte akribisch die letzten Reiskörner vom Teller.
    »Kann ich?«
    Ich nickte konsterniert.
    Er nahm sich eine Muschel von meinem Teller, öffnete sie sorgfältig und steckte sie in den Mund. Etwas genervt beobachtete ich die langsamen Bewegungen seines Kiefers.
    »Sind gut. Solltest du essen.«
    Kurz dachte ich daran, sie ihm ganz zu überlassen. Im letzten Moment fiel mir ein, dass ich dann noch länger auf die Antwort warten müsste. Also schlang ich sie selbst herunter und hakte kauend noch einmal nach.
    »Also, was meinst du sollte ich jetzt machen?«
    Wolfgang seufzte, goss sich Wasser nach, trank und sah mich traurig an, korrekter: meine Muscheln.
    »Zahlst du Steuern?«
    Obwohl ich nicht wusste, was das damit zu tun haben sollte, nickte ich pflichtschuldig und öffnete die letzte Muschel.
    »Und wofür werden Steuern verwendet?«
    Ich wischte mir mit der Serviette über den Mund, lehnte mich zurück und spürte ein leichtes Drücken in der Magengegend. Es fiel mir schwer, mich auf die merkwürdige Gesprächsführung meines Freundes einzulassen. Tapfer begann ich aufzuzählen.
    »Kunst, Kultur, Straßenbau, Arbeitslosengeld, Kindergärten, Schulen, Armee …« Jetzt wusste ich worauf er hinauswollte!
    »Dich. Ich bezahle DICH damit!« Ich grinste ihn triumphierend an.
    »Bin nicht im Dienst. Bin als Freund hier.«
    Wolfgang winkte dem Kellner und bestellte Champagner.
    »Den magst du doch!«
    Ich nickte verwirrt.
    »Du zahlst Steuern und hast RECHTE!«, klärte er mich auf. »Heißt: auch Recht auf Schutz! Also: Mach ’ne Anzeige und fordere Schutz ein!«
    »Kann ich das nicht gleich hier machen? Ich mein’, ich hab dir doch alles erzählt, und du weißt, dass sie in sechs Tagen wieder bei mir auftauchen. Und du weißt, dass ich Steuern zahle und damit also das Recht …«
    »Seh ich aus, als ob ich das passende Formblatt mit mir rumschleppe?«, unterbrach er mich, öffnete sein Jackett und grinste mich fröhlich an.
    »Mach die Anzeige. Sobald sie auf meinem Tisch liegt, kümmere ich mich

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