Bel Ami
reingehen!«
»Ist es vorbei?«
»Der Muttermund ist weit genug geöffnet, und sie wird jetzt mit dem Pressen beginnen!«
Wenn sie noch gar nicht gepresst hatte, weswegen hatte sie dann die ganze Zeit so geschrien? Ich verkniff mir einen entsprechenden Kommentar und folgte der Hebamme. Obwohl mich das Tuch über den gespreizten Knien meiner Frau wie magisch anzog, versuchte ich nicht hinzusehen. Ich konzentrierte mich auf Simones Gesicht und stellte ihr wieder meine Hand zur Verfügung. So viele Frauen hatte ich schon in ähnlicher Stellung gesehen, aber diesmal erschreckte mich der Anblick. Unvorstellbar, dass ein ganzer Kopf … Pressen, pressen Sie, Frau Uhlmann . Sie tat es, tat es noch dreimal, und dann war er da: mein Sohn! Schrumplig, voller Blut und Schleim und mit dieser dicken, etwas eklig aussehenden Nabelschnur, auf der blaue Adern pulsten. Man reichte mir eine Schere. Ich sollte …? Ja, ja, es tut ihm nicht weh! Er wurde gewaschen, gemessen und gewogen, für gesund und sehr hübsch befunden. Simone kämpfte mit der Nachgeburt und ich schon wieder mit den Tränen. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich noch zum Waschlappen werden.
Am nächsten Tag bevölkerten Rosi, Marie, Karl-Heinz und etliche andere das Krankenzimmer, das nun aussah wie ein Blumenladen.
»Herzlichen Glückwunsch, Daddy. Jetzt hast du es geschafft. Bist Papa geworden.«
Marie drückte einer überforderten Schwester einen weiteren Strauß Blumen in die Hand, und Karl-Heinz beugte sich über das Babybettchen.
»Na, da ist ja das süße Kerlchen! Was sagt man da, Detlef? Gucci, Gucci, Gucci?«
Nico lachte laut, und mein Sohn fing an zu weinen. Jemand ließ einen Korken knallen, und daraufhin brüllte der Kleine noch lauter.
»Herr Uhlmann, vielleicht sollten Sie das Kind an die Mutter zurückgeben und Ihre Besucher in die Cafeteria führen«, forderte eine humorlose Schwester.
»Ja genau, wo ist denn überhaupt die tapfere Mutti?«
Oh mein Gott, war ich jetzt mit Mutti verheiratet? Simone war noch immer so erschöpft, dass sie nichts sagte und nur ihre Arme hob. Ich gab ihr unseren Sohn, der sich schlagartig beruhigte und energisch an ihrer Brust zu saugen begann.
»Ganz der Papa, was?« Auch Wolfgang war gekommen und klopfte mir grinsend auf die Schulter. Ich war gerührt und spürte schon wieder Tränen aufsteigen.
Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie im Rausch. Ich konnte nicht genug von meinem Sohn bekommen. Hunderte Gläser stieß ich auf ihn an, und mein Telefon stand nicht mehr still. Wenn Simone all die Pralinen gegessen hätte, die sich auf ihrem Nachttisch zu stapeln begannen, hätte sie ihre Schwangerschaftskleider behalten können. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so ein kleines Ding eine solche Aufregung verursachen würde. Simone stillte, und ich begann die Doppeldeutigkeit des Wortes zu verstehen. Sie schlief viel, und wenn sie wach war, sagte sie auch nicht viel mehr. Sie stillte Jonas . So hatten wir unseren Sohn genannt. Ich war für Jason gewesen, wegen des Goldenen Vlieses. Aber Simone beharrte auf ihrer Reihenfolge der Buchstaben, auch weil sie zu wissen glaubte, dass Jason den Thron nie bekommen und sich schließlich umgebracht hatte. Das überzeugte mich, denn natürlich wollte ich meinem Sohn nicht den Namen eines Losers mit auf den Weg geben.
Nachdem Simone das Krankenhaus verlassen hatte, kristallisierte sich langsam unser neues Leben heraus. Sie stand mir als Bar- und Geschäftsfrau anfangs gar nicht mehr und später nur noch gelegentlich zur Verfügung. Ich sah mich zu einer Neuanstellung gezwungen. Wenn ich morgens nach Hause kam und mich zu ihr ins Bett legte, meckerte sie dafür nicht mehr so viel. Das Kind schien einen völlig neuen Menschen aus ihr gemacht zu haben, und das gefiel mir. Fast hätte ich an ein Wunder geglaubt, wenn eine Verkettung dummer Zufälle nicht die alte, streitsüchtige Simone wieder hervorgeholt hätte.
Ich hatte ihr versprochen, nicht mehr jede Nacht im Bel Ami zu verbringen, und hielt mich an mein Versprechen. Als Hartmut mich zu einer kleinen, spontanen Party in seiner Villa einlud, konnte ich deshalb mit ruhigem Gewissen zusagen: Es war weder Nacht noch das Bel Ami .
Nachdem die Feier schon eine ganze Weile im Gange war, kam mein Freund mit einem Telefonhörer in seiner Hand auf mich zu und zeigte auf das Eingangstor.
»Mann, Großer, deine Frau ist am Apparat! Sie steht vor der Tür. Ich glaub, du solltest rausgehen. Die scheint ziemlich sauer zu
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