Bel Ami
presste die Luft durch die Nase. Stille. Sie sah mich an, und ihre Pupillen waren stecknadelgroß, die Wimperntusche zur Kriegsbemalung mutiert. Ganz langsam, mich weiter fixierend, entfernte sie sich Richtung Treppe.
»Bleib stehen! Wo willst du hin?«
Sie hatte die Treppe erreicht. Allmählich begriff ich, dass Jonas weinte. Wie lange schon?
»Ich will die Scheidung, Detlef. Ich will nicht mehr kotzen. Und das muss ich, wenn ich dich sehe!«
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?«, brüllte ich. »Du bist ein Nichts, ein Niemand! Du hast nichts, und du kannst nichts, außer mein Geld auszugeben und dafür die Beine breit zu machen. Meinst du, irgendjemand will dich haben? Über 30, ohne Geld, ohne Job und mit Kind? Und dein Vater, deine Mutter? Glaubst du, die kriegen hier noch irgendwo Arbeit, wenn ich mit euch fertig bin? Ihr seid doch alle von mir abhängig. Von mir allein!«
Ich hatte recht, und sie wusste es! Ich allein war hier der Kapitän. Und ich bestimmte den Kurs und wann und ob überhaupt jemand an Land ging. Und das war nicht jetzt! Ich griff nach meinem Mantel und verließ das Haus. Bei Meuterei wurden eben die Rationen gekürzt. Morgen würde ich ihre Kreditkarten sperren lassen. Lange würde sie nicht durchhalten. Und übermorgen würde ich Mey vom Flughafen abholen. Vor einer Woche war überraschend doch noch der Anruf aus Hongkong gekommen, und ich hatte ihr umgehend ein First-Class-Ticket geschickt. Mei-Mey machte mich geil.
»Mein Gott, wie hast du mir gefehlt!«
Sie schmeckte so gut, sie roch so gut, sie tat so gut. Endlich war sie wieder da – meine Mey. Sie sagte nichts, lächelte nur und steckte ihr Haar nach oben. Wie lang ihr Hals war.
»Nochmal, Mey. Komm nochmal her zu Daddy!«
»Daddy?«
»Kommt von Detti, also wegen Detlef!«
Sie begann meine Füße zu streicheln und lächelte mich an.
»I call you: Great! It’s okay? «
Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie mich woanders gestreichelt hätte. Na ja, jedenfalls nannten mich jetzt die beiden Menschen, die mir zurzeit am Wichtigsten waren: Großer! Das fand ich schön.
Wir hatten nicht viel Zeit. Gestern hatte die Internationale Tourismus-Messe ihre Tore geöffnet, und in ganz Berlin liefen Männer herum, die sich ein paar schöne Stunden am Abend verdient hatten. Ich zeigte Mey meinen Club, und sie war beeindruckt, glaubte ich zumindest. Bei Chinesinnen war es ziemlich schwierig zu erkennen, was sie wirklich dachten. Genau das machte sie ja so angenehm. Sie lächelten dich immer freundlich an. Was wollte Mann mehr? Ich wünschte, Nico wär ein Chinese. Als ich an ihm vorbeiging, sah er aus, als würde er sich am nächsten Baum aufhängen wollen.
»Na, mein Freund, was ist dir denn über die Leber gelaufen?« Ich legte freundschaftlich meine Hand auf seine Schulter und ließ sie dort.
»Alles gut, Detlef!«
»Na, sieht aber nicht so aus. Willst du was trinken?«
»Danke, ist noch zu früh.«
Langsam wurde ich ärgerlich. Ich nahm meine Hand herunter.
»Hör zu, Nico. Ich kann mir schlechte Laune nicht leisten. Demnächst werden hier die Massen reinströmen, und dann will ich, dass der Laden brummt und sich alle super fühlen. Verstehst du? Alles Super!«
Ich nahm eine Bewegung hinter mir wahr und folgte Nicos Blick. Also doch!
»Ist doch nicht wegen der Kleinen da, oder?«
Er zuckte mit den Schultern und schaute auf den dunkelroten Kristallaschenbecher, an dem eine Ecke fehlte und an Malilas temperamentvolle Ausbrüche erinnerte. Als Angie mit dem ersten Gast des Abends aufs Zimmer ging, brauchte ich keine Antwort mehr. Nico schluckte und wich krampfhaft meinem Blick aus. Er war schon so lange Türsteher im Bel Ami , dass seine Haare mittlerweile grau geworden waren, und noch immer hatte er nicht verstanden, wie die Welt hier funktionierte. Ich legte ihm wieder die Hand auf die Schulter, diesmal weniger freundlich.
»Ja, ja, Nico, das tut weh, was?«
Sein Kehlkopf fuhr hoch und runter wie ein Jojo.
»Jetzt reiß dich zusammen, sie ist nur ’ne Hure. Nimm sie dir, hab Spaß mit ihr, und dann vergiss sie, ist das klar?«
»Angie ist nicht bloß eine Hure. Ich liebe sie, und sie liebt mich. Wir gehen hier weg, Detlef!«
Was war denn jetzt los? Waren denn alle verrückt geworden?
»Du gehst nirgendwohin, Nico. Und Angie bleibt auch. Wie du weißt, hat gestern die Messe begonnen, und ich kann hier auf niemanden verzichten. Von mir aus geht, wenn die Messe vorbei ist«, ich grinste ihn ein wenig
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