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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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Virtuosin, ihr vom ständigen Sitzen am Klavier gebeugter Körper, das ist das vorzeitig vertrocknete Lorbeerblatt.
    Wundert uns, dass sie, zu vorzeitigem Altern und zur Entsagung verurteilt, in Giulia die Schülerin sieht, der sie manches von ihren Fähigkeiten hinterlassen möchte? Nur damit erkläre ich mir, dass sie ihr Interesse an Giulia überspannt und geglaubt hat, aus ihr werde eine berühmteSängerin. Wer weiß, vielleicht träumte sie davon, eines Tages würde ihr Name als Giulias Gesangslehrerin genannt?
    Wenn Giulia von ihr weggehen wird, um bei Professor Lehmann zu studieren, wird sie das nicht bedauern, obwohl sie schwer daran trägt, wenn ein Schüler oder eine Schülerin die Stunden schon einen Monat vor den Schulferien kündigt. Sie wird das nicht bedauern, weil sie überzeugt ist, Giulia nicht mehr geben zu können, als sie ihr gegeben hat. Giulia muss vorankommen.
    Sooft ich später Giulias Gesangslehrerin traf, immer hielt sie mich an und fragte nach Giulia. Sooft Giulia nach Prag kam und sie besuchte, musste sie ihr die Methode vorführen, nach der sie jetzt arbeitet und immer wieder war sie überzeugt (wenigstens lange Jahre), Giulia würde eine berühmte Sängerin werden. Sie hatte die Angewohnheit – auch ich war einer ihrer Schüler, bei denen sie durch das ständige Sitzen am Klavier krumm wurde, deren falsche Anschläge an ihren Ohren zerrten und die sie durch ihren Mangel an Begabung erneut an vorzeitiges Altern erinnerten –, sie hatte die Angewohnheit, ihre Schüler zur Tür zu begleiten und sich von ihnen zu verabschieden: addio!
    Jener Nachmittag, über den ich schreibe – es ist ein Nachmittag vor dem Konzert, der Vorstellung, in Mailand, Berlin, Prag, Giulia ist bis jetzt ihre Schülerin. An diesem Nachmittag hat sich ihre Gesangslehrerin von ihr verabschiedet: addio!
    Aus dem Duft des Weidenkorbes erstand eine Kulisse, das Nildelta darstellend. Aus der Tänzerin, die ängstlich, ratlos und müde die Augen auf den Impresario richtete, damit er ihr bei der Antwort für den Journalisten helfe, wurde ein Mädchen aus der Tabakfabrik. Aus dem Geiger,der auf der Hauptstraße die Augen vor den Blicken flanierender Damen (in Wien, Paris, Prag) niederschlug, wurde ein Insekt mit schwarzen Flügeln, unter starkem Scheinwerferlicht in einem riesigen Saal gefangen und ausgebildet in einer ungewöhnlichen Darbietung. Ein gewöhnliches Insekt summt und drängt sich, um dieses besondere Geschöpf zu Gesicht zu bekommen, das mit seinen Fühlern, seinem Hinterteil, seinen Stimmbändern seltsame Töne hervorbringt. Ein Diener wird ihm ein Gerät zustecken; die Insektenmenge wurde still und das vorzüglich ausgerüstete Geschöpf bringt etwas Ungewöhnliches hervor, etwas, das die übrigen nicht zustandebringen. In Berlin, in Paris.
    In Prag hat die Sängerin das Hotel »Zum Schwarzen Pferd« verlassen. Giulia kleidet sich für das Theater an. Ernesto geht nicht ins Theater, Giulia denkt mittlerweile an andere Männer. Jedes Mal wenn sie schafft, dass ihr einer ein Geständnis ablegt, beginnt sie zu lachen. Sie hätte damals Sie und auch mich ausgelacht und wäre zornig geworden, wenn wir etwas mehr von ihr gewollt hätten.
    Giulia kleidet sich für das Theater an, wegen der Mutter trägt sie noch Trauer. Das einförmige Schwarz ihres Kleides verschönt sie durch einen weißen Fuchs, dessen Kauf sie diese Woche durch ihren Vater erzwungen hat. Lassen Sie Giulia in Ruhe um ihre Mutter trauern, von der sie behaupten wird, nie von ihr geliebt worden zu sein. In dem schwarzen Kleid, mit dem weißen Fuchs wird sie Blicke und Lächeln aussenden, und sobald sie auf dem Theatergang erscheint, wird sich augenblicklich ein Schwarm Männer um sie versammeln.
    Giulia begleitet den Vater der Sängerin, die heute auftreten wird, zu seinem Sessel. Gerade war er ihr vorgestelltworden. Sein Freund Urbánek hat ihm erzählt, sie wolle Sängerin werden. Giulia lächelt dem Vater der berühmten Sängerin freundlich zu, freundlicher als ihren Verehrern. Sie können ihr nichts Besonderes bieten: alle ein und dasselbe. Giulia ist nicht mehr neugierig wie früher, als sie das erste Mal Doktor Zage besuchte. Er fuhr ab, der Neffe des Ministers stand zwar hinter dem Plankenzaun des Tennisplatzes, um Giulia zu sehen, aber Giulia hatte ihn bereits satt.
    Sie lächelt dem Vater der berühmten Sängerin zu, weil er ihr etwas anderes als die übrigen bieten kann. Giulia muss es nicht einmal verlangen, er wird es ihr in der

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