Bel Canto (German Edition)
ein Bariton, mit leicht komischem Anflug.
Die Kulisse eines Hauses, die Kulisse eines Gartens, die Kulisse eines nahenden Abends und einer Nacht, die Kulisse eines unbekannten Hauses, eines unbekannten Gartens, eines unbekannten Abends und einer Nacht, die schäbige Kulisse eines romantischen Abenteuers.
Aus ihr tritt Giulia hervor.
Sie geht über eine Prager Hauptstraße, wie in Mailand oder Berlin laden Plakate zum Violin-, Klavier-, Cello-, Bass-, Tenor-, Violincellokonzert ein – hören Sie diese Instrumente? Hören Sie den Ton des Cellos, wenn Sie durch die Straßen von Paris, von Prag gehen?
Reisten Sie schon einmal als Künstler? Giulia spricht gern über den Impresario, über ihren Impresario, obwohl ich ihn niemals bei ihr getroffen habe.
Kennen Sie die Hotelzimmer, in denen sie die Besuche von Journalisten empfangen? Die Texte erlernter Fragen und Antworten, die Künstler und Künstlerinnen hersagen, zwar jeder auf seine Weise, aber in der gleichen Art, in der Sie oder ich einen Angestellten vom Gas- oder Elektrizitätswerk empfangen.
Während meiner kurzen journalistischen Praxis begegnete mir eine spanische Tänzerin, die ich nicht vergessen werde, deren Augen ratlos beim Impresario Hilfe suchten, als ich ihr eine ungewöhnliche Frage stellte. Wie romantisch lügt Ernesto, wenn er behauptet, jede Woche eine Tänzerin haben zu müssen! Will er die große Leidenschaft, dann soll er sie bei einer guterhaltenen Matrone und nicht bei einer Tänzerin suchen! Folgt er hier nichtMachiavellis Vorbild, dessen Geliebte die Tänzerin Barbara war?
Sie kennen doch diese Fotografien in den Straßen von Madrid, Paris, Prag? Am Spätnachmittag, vor der Konzert- oder Theatervorstellung – stumm stehen die Konzertflügel da, von Fotografien sehen über Geigen und Cellos gebeugte Köpfe auf uns herab, Sängerinnen zeigen uns ihr Lächeln, Toiletten, aus denen die Zeit Theaterkleidung machen wird, edelsteinbesetzte Stirnbänder, die bald darauf die Theaterrampen erleuchten werden.
Zu dieser Zeit geht Giulia durch eine Prager Straße – es stinkt nach Seifenlauge – woher? – und fühlt, auch ihre Fotografie wird einmal im Schaufenster eines Musikinstrumentengeschäfts in Mailand oder in Wien stehen. Unterdessen werden neben einem Korbwarengeschäft schweigende Klaviere zurechtgerückt, und beim aufdringlichen Geruch eines Weidenkorbes stimmen sie die Arie der Tochter des Pharao an, deren Darstellerin im ersten Stock des Hotels »Zum Schwarzen Pferd« wohnt. Noch hat sie das Diadem der ägyptischen Pharaonentochter nicht ins Haar gewunden, ihre herrliche Stimme, in eine lebendige Kehle, in den Hotelkäfig gesperrt, schweigt noch.
Bel canto! Inzwischen leuchten die Nachrichtenzeilen mit dem Opernprogramm und der wirtschaftspolitischen Bedeutung des Suezkanals auf die Straßen von Berlin, Paris, Prag herab.
Giulia geht über eine Prager Straße und ist überzeugt, auch aus ihr wird eine berühmte Sängerin. Inzwischen studiert sie bei einer Gesangslehrerin, die überzeugt ist, aus Giulia wird etwas, bel canto. Hat sie glänzendes Stimmmaterial, Begabung? Ich verstehe, dass sie großen Eindruckauf ihre Lehrerin gemacht hat, die wir nicht beschuldigen dürfen, Giulia überschätzt zu haben. Wie sollte sie von ihr nicht bezaubert sein, sie, die über Jahre nur Sechs- bis Achtzehnjährigen Klavier, jungen Damen und Frauen zwischen achtzehn und dreißig Gesang beibrachte? Wie sollte sie von Giulia nicht bezaubert sein, bei der sie auf den Wunsch traf, der sie selbst einmal auf das Konservatorium und eine kurze Konzertlaufbahn geführt hatte, abgebrochen wegen des Unterrichts, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Also kostete die vorzeitig alternde Jungfer nicht Augenblicke der Liebe, sondern bel canto. Von Stunde zu Stunde erinnern sie ihre Schülerinnen mit ihren falschen Anschlägen und falsch gegriffenen Töne auf dem Klavier an ihr Los, Musikunterricht des Broterwerbs wegen zu erteilen. Giulia ruft ihr nur den Spätnachmittag vor einem Auftritt ins Gedächtnis, ihr kurzes Abenteuer, ihre Erregung, nicht durch die Liebe, nein, durch bel canto.
Im Zimmer, wo sie Giulia Stunden gibt, hing irgendwann ein Lorbeerkranz – vielleicht ist das Zimmer deshalb so schnell und vorzeitig gealtert. Vielleicht sieht Giulias erste Gesangslehrerin deshalb wie eine klassische Balletttänzerin aus, deren rheumatische Schmerzen sie vorzeitig von der Bühne getrieben haben. Ihre knochige Hand, die vorzeitig gealterte Hand einer
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