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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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auf der Landungsbrücke und warte auf Frau Lavinia, sehe wieder das kleine Fass, auf dem als Matrose verkleidet der Clown sitzt. Im Pavillon auf der Landungsbrücke verkaufen sie ähnliche Bilder: Damen im Badeanzug, Damen, wie ich sie nie gesehen, obwohl ich den ganzen Vormittag am Strand verbracht habe. Nie habe ich eine mit kugelrunden Augen unter der Lockenpracht, üppigem Busen, üppigem Hintern, imgestreiften Leibchen, in fragwürdiger Pose gesehen, damit das Publikum loslacht: Sie schleppen Nachttopf, Rettungsgürtel, ein Fässchen herbei. Meereslebewesen: Seepferdchen, Medusen, Muscheln, Fische, sie tauchen aus der Meerestiefe auf, Matrosen spannen Segel, setzen sich an die Ruder, werfen die Netze aus, die Anker, Rettungsboote, zünden sich Pfeifen an, singen Lieder – ich habe begriffen, dass diese Dame ein als Frau verkleideter Clown ist: Er hat sich den Busen mit zwei Ballons gepolstert, sich zwei Ballons in das rotweiß gestreifte Leibchen gestopft und ahmt im Falsett eine Frauenstimme nach.
    Vielleicht warteten sie, Ernesto und Giulia, auch auf einen Dampfer, vielleicht hat Ernesto hier eine Zeitung oder Zündhölzer gekauft. Es gibt hier auch Bücher: mein Freund, den ich schon erwähnt habe, könnte sich hier auch Kant gekauft haben. Sie glauben nicht, dass man in diesem Laden auf der Landungsbrücke, wo man Bilder eines als verführerische Dame verkleideten Clowns verkauft, auch europäische Klassiker verkauft?
    Denn auf dieser Brücke promeniert der dicke Herr, der Anekdoten über die Dame mit dem üppigen Busen und Hintern im rotweiß gestreiften Leibchen erzählen will, ebenso wie der Dichter, wie Frau Lavinia, Giulia, Ernesto, wie mein Freund, der sich hier Kant gekauft haben könnte. Oder jemand, der so ähnlich aussieht wie er, denn als mein Freund hier war, waren die Sommerlandungsbrücken bereits demontiert und das Schicksal wollte es, dass er sich Kant bereits in Leipzig gekauft hatte.
    Frau Lavinia ist hier! Atemlos! Beinah wäre uns passiert, was der Dame im gestreiften Leibchen passiert ist, als sie sich zum Baden umgekleidet hat – beinah hätte sichder Clown als Dame verkleidet, mit schräg aufgesetztem Hut, mit spitzenbesetztem Sonnenschirm, beinah hätte er den Dampfer versäumt, beinah hätten sie, zur allgemeinen Heiterkeit, ohne ihn vom Ufer abgelegt, beinah hätte der Dampfer ohne uns vom Ufer abgelegt.
    Frau Lavinia verspricht mir, ich werde Karla spielen sehen, möglicherweise werden wir Ernesto und Giulia treffen. Ich glaube ihren Versprechungen nicht, ich höre und beobachte unzählige Schatten, blau und grün, violette und weiße Medusenschleier, graue und weiße Möwen, alle diese Farben und Formen, die ich für eine Farbfotografie von Giulia verwenden werde.
    Mit dem Grün der Buchenwälder, von dem sich die weißfarbigen Frauenkleider abheben. Damals war es üblich, die Tennisplätze möglichst im Schatten zu bauen, begreiflich in einer Zeit, in der die Damen zum Sport Hüte, lange Röcke und Blusen mit hohen Kragen trugen. Ein Tennisplatz sah damals wie ein großer, von Bäumen überwachsener Gartenpavillon aus, der vor der Sonnenglut schützte.
    Ich gehe mit Frau Lavinia einen breiten Weg im Schatten riesiger Buchen. Trotzdem wischt sich Frau Lavinia reichlich Schweißtropfen ab. Ich schaue, ob sie sich dabei nicht die Augenbrauenstriche verschmiert. Sie ächzt (sie ist fest geschnürt) und lacht über etwas, was Herr Kugler gesagt hat, den wir hier zufällig getroffen haben. Er fuhr aber nicht mit dem Dampfer wie wir, sondern mit dem Zug, auf dem Bahnhof, wo die kleine bekränzte Lokomotive ehrwürdig Halt machte – was denn, Sie wissen nicht, dass Kronprinzessin Cäcilie hier ist?!
    Frau Lavinia hat die Stirn kraus gezogen und bewundernd die schwarzen Augen auf Herrn Kuglers weißeWeste geheftet. Herr Kugler hat gelächelt: aber nein, wie wäre es möglich, mit demselben Zug anzukommen wie Kronprinzessin Cäcilie! Das nicht, aber es zog ihn dieselbe noch bekränzte Lokomotive, die am Vormittag die Kronprinzessin hierhergebracht habe.
    Frau Lavinia hat Herrn Kugler bewundernd angeschaut. (Obwohl sie ihn keineswegs besonders gern hat, kann sie ihm ihre gewohnte Herzlichkeit zeigen). Sie ist stehengeblieben, der bekränzten kleinen Lokomotive nicht unähnlich, die auf dem festlich geschmückten Bahnsteig atemschöpfend stehengeblieben war. Frau Lavinia ist atemholend auf dem Weg stehengeblieben, mit ihren schwarzen Äuglein direkt vor sich hin blickend, über denen sich

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