Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
Vom Netzwerk:
machen. Frau Lavinia war es zum ersten Mal nach vierzehn Tagen gelungen. Gewöhnliche Schinkenknochen bekomme man hie und da, aber solche, wie in diesem Laden, so billig und zugleich so fleischig, dass davon zwei Personen gut zu Abend essen können, und sogar Karla davon esse, wenn sie abgehetzt nach Hause komme – das gäbe es nur hier.
    Heute haben sie keine, Frau Lavinia führte mich nur her, um sich vor mir mit ihrer großartigen Leistung zu brüsten.
    Sie schwingt mitten in der Manege ein Stöckchen, breitet eine Serviette darüber, wirft Teller in die Luft, holt Messer aus einem breiten Ärmel, Gabeln dazu und lacht vor Freude. Mit Bewunderung beobachte ich Frau Lavinia. Sie möchte wissen, wie das wirklich mit Giulia ist. Stimme es, dass sie sich aushalten lasse? Dann würde sie in Berlin nicht so dürftig leben, wie man erzähle. Das kam Frau Lavinia zu Ohren, man erfahre alles; eine Sängerin, die bei demselben Lehrer Gesang studiere wie Giulia, habe die Nachricht mit nach Prag gebracht. Habe Giulia das von der Mutter ererbte Geld schon verschwendet?
    Ich weiß darüber nichts und Frau Lavinia ist ein wenig enttäuscht. Wir bekamen weder Salamianschnitt noch Schinkenknochen. Der Clown furcht beim Nachdenken die Stirn. Er hat eine Idee. Er wird heute zum Abendessen Räucherfisch kaufen. Habe ich den hiesigen Räucherfisch noch nicht gegessen? Wie ist das möglich? Frau Lavinia hat davon nicht gesprochen, weil sie dachte, es sei unmöglich, dass jemand den hiesigen Räucherfisch nicht kenne. Das komisch gepuderte Clownsgesicht mit denAugenbrauenstrichen, das einen Menschen zum Lachen bringt, zieht Fische aus den Taschen. In der Manege tauchen geteerte Fässer auf, und Löwenrobben mit kugelrunden gerunzelten Stirnen schnappen nach den in die Luft geworfenen Fischen.
    Ich stehe mit Frau Lavinia im Laden, der tüchtig nach Kreosot duftet, mit Meersalz gesalzen, geräuchert ist. Frau Lavinia befiehlt, mir den Ort einzuprägen. Den Weg von Jonas, den Weg in das Innere des Fischschiffes, den Weg in das Geschäft mit den Räucherfischen, den Weg eines Wunders. Im ausgeworfenen Netz ist die Fülle der Meerestiefe zu sehen: die Messer der Plattfische zerschneiden es. Der Clown bringt einen Kübel planschender Fische in die Manege, ein Segel, in dem sich die Meeresbrandung fängt, er wirft das Netz hinein und bringt es – unwiderstehlich lachend – zu den Sitzen, bringt ihnen dann im Papier einen Räucherfisch.
    Frau Lavinia zeigt ihn mir eingewickelt, eigentlich nur ins Papier gelegt. Ihre Augen unter den hoch angemalten Augenbrauenstrichen leuchten und blinzeln, und das Gesicht unter der komisch aufgetragenen Puderschicht fordert zum Lachen, zum Staunen, zum Applaus auf.
    Nach dieser Vorstellung blieb mir nur ein Päckchen im Feinkostladen gekaufter Kekse. Salamianschnitt gab es nicht. Frau Lavinia verabschiedet sich von mir, ich muss ihr versprechen, morgen mit ihr und Karla, für die sie allerdings nicht garantieren könne, zu Mittag zu essen, auch, dass wir einen gemeinsamen Ausflug in das benachbarte Bad unternehmen werden. Karla wird dort ein Tennismatch haben und vielleicht werden wir dort Giulia und Ernesto treffen.
    Ich kann nicht ablehnen und werde die Eintrittskarte für die morgige Nachmittagsvorstellung kaufen. Unterwegs mit meinem Päckchen Kekse denke ich an Giulia und Ernesto. Das Kekspäckchen ist mit den festgelegten Nährwertangaben und dem Sitz des Lebensmittelindustrieverbandes bedruckt. Ich habe die Registriernummer des Arbeiters oder der Arbeiterin in der Hand, die mein Päckchen eingepackt haben. Vielleicht wäre Giulia manchmal über so ein Päckchen froh gewesen. Aber bedauern muss man sie nicht. Ich weiß, sie selbst würde ihren Hunger und die Not zur Gloriole ihres künstlerischen Berufs machen. Ich sehe sie vor mir: Inmitten der Manege leuchtet ihr Haar, ihre Gestalt glänzt im glockenhellen Flitter auf. Versuchen wir nicht, Giulia vom Piedestal zu reißen. Sie strahlt dort, sie erregt dort Bewunderung, Liebe, Leidenschaft, das scheint für Giulia natürlich und selbstverständlich zu sein. Hatte sie manchmal Hunger und blaue Flecke am Körper? Sie würde sich schämen, ihrem Herzen Luft zu machen. Ihre Aufgabe ist, in der Manege zu erscheinen, durch Schönheit, blondes Haar, glockenhellen Flitter zu strahlen. Der Clown, mit dem überpuderten Gesicht, mit den Augenbrauenstrichen, hilft in der Manege das Segel auszuspannen, in dem die Meeresbrandung donnert.
    Ich stehe am folgenden Tag

Weitere Kostenlose Bücher