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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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und Tochter. So sah auch ihre Wohnung im Seebad aus. Nur deshalb konnte ich lange nicht herausfinden, wo sie eigentlich wohnt. Der Adresse nach war ich richtig, und doch wusste ich lange nicht, wohin ich mich wenden soll.
    Das war so: Frau Lavinia wohnte mit der Tochter im Anbau eines großen Hotels, Eingang von der Seitenstraße. Frau Lavinias Tochter konnte ganz wahrheitsgemäß sagen, dass sie in einem der besten Hotels wohnt. Wollten Sie aber durch den Haupteingang eintreten, würde Sie der Portier zum Seiteneingang verweisen. Von dort aus war es eine gewöhnliche kleine Pension, eine mit dem Hauptgebäude über den Hof verbundene sogenannte Dependance, deren Bewohner den Vorzug hatten, sich im großen Hotelspeisesaal für einen recht niedrigen Preis versorgen zu können. Karla konnte sich in den Gesellschaftsräumen des Hotels bewegen und niemanden interessierte, wohin ihre Zimmerfenster gehen. So wurde dem haushälterischen Wesen Frau Lavinias entsprochen und der Vorliebe ihrerTochter für das Leben in der großen Welt. Worin sich beide benachteiligt fühlten, darin hielt sich jeder auf seine Art schadlos: die Frau aß gewöhnlich allein in ihrem Zimmerchen zu Abend, durch sparsame Einkäufe die Kosten des Mittagessens ausgleichend; ihre Tochter war gewöhnlich irgendwo eingeladen.
    Als ich nach dem Quartier Frau Lavinias suchte, schien mir, der Hotelportier hält mich für jemanden, der durch den Haupteingang eintreten will, obwohl er nur das Recht auf den Seiteneingang hat. Vielleicht schien es mir nur so, denn Sie wissen ja, wie arrogant Hotelportiers auf das Durchschnittspublikum blicken. Wer weiß, wie lange ich noch nach Frau Lavinia gesucht hätte, wenn sie nicht auf den Balkon (mit Meerblick) gekommen wäre und mich ratlos an der Straßenecke hätte stehen sehen. Frau Lavinia war auf den Balkon getreten, um dort ein Paar Strümpfe Karlas zu trocknen, die sie gerade in einer Schüssel gewaschen hatte. Sie schämte sich nicht und rief zu mir runter.
    Noch im Morgenrock, obwohl es schon auf Mittag zuging, mit Lockenwicklern in den Haaren, angemalten Augenbrauen (Frau Lavinia hatte nämlich fast gar keine Brauen), die ihrem Gesicht etwas von einem gutmütigen dicken Clown gaben, hat sie mich oben empfangen. Sie sieht mich wie einen Sohn an, kennt sie mich doch von klein auf! Am Geländer des obersten Treppenabsatzes stehend, hat sie mich herzlich begrüßt und mich weiter geführt.
    Sie entschuldigte sich, dass noch nicht aufgeräumt war. Karla war gerade gegangen. Sie besserte ihre Strümpfe aus: niemand würde glauben, wie viel sie davon hier zerreißt.
    Frau Lavinia fragte mich: ob ich Vollpension oder nur Halbpension hätte, wie sie? Sie lud mich ein, bis zum Abendbei ihr zu bleiben, damit sie mir zeigen könne, wo man gut einkaufe. Ob ich Giulia und Ernesto schon gesehen hätte? Möglich, dass sie im benachbarten Seebad wohnen, und wenn Frau Lavinia sie hier sah, unternahmen sie vielleicht nur einen Ausflug. Wir werden auch Gesellschaftsausflüge machen. Wegen Karla kann Frau Lavinia nichts versprechen. Wir könnten sie sehen, wenn sie im Nachbarbad Tennis spiele. Habe ich schon Herrn Kugler gesehen? Wie das, ich habe ihn noch nicht getroffen?
    Es geht langsam auf Mittag zu und Frau Lavinia ist noch nicht fertig, höchste Zeit, fortzugehen. Ich konnte Frau Lavinia nicht versprechen, bis gegen Abend zu bleiben, damit sie mir die billigen Einkaufsmöglichkeiten zeige. Auch wenn ich nicht die Absicht hatte, mich zu Haus zu versorgen, konnte ich Frau Lavinia diese Freude nicht verderben. Mit einem Schülerlächeln hat sie hinzugesetzt: »Aber Karla darf davon nichts wissen!« Nämlich von der Vorliebe, billig einzukaufen. Obwohl ich nicht vorhabe zu sparen, leiste ich dem Gesicht mit den fröhlichen Augen unter den Brauen eines Clowns keinen Widerstand, diesem breiten, mit Clownspuder bestäubten Gesicht. Ich leiste keinen Widerstand und werde gegen Abend kommen, um Frau Lavinia bei ihren Einkäufen zu begleiten.
    Sie ist ganz von der Spannung in Anspruch genommen, ob es ihr heute beim Feinkosthändler glücken wird, den Salamianschnitt zu ergattern. Glückt es ihr nicht, kennt sie noch einen kleinen Laden, wo sie manchmal Schinkenknochen bekommt. Frau Lavinia versichert mir, solch ein Abendessen verlocke manchmal auch Karla. Solch ein Schinkenknochen sei etwas ganz Außergewöhnliches, und nur bei langer Erfahrung aufzutreiben. Darauf könne ichmir bei meinem kurzen Aufenthalt überhaupt keine Hoffnung

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