Bel Canto (German Edition)
die aufgemalten Augenbrauenstriche wie ein komischer kleiner Kamin erheben. Herr Kugler entzündet eine Zigarre und lacht über Frau Lavinias Staunen: Was ist daran verwunderlich? Die Kronprinzessin nimmt am heutigen Tennismatch teil.
Frau Lavinia wusste davon nichts. Sie ist eine Weile verstummt: sie geht über den breiten, von hundertjährigen Buchen beschatteten Weg, einem gewachsenen Filter, der die Sonnenreflexe der Uferklippen abfängt und nur das Grün der mächtigen Buchenarkade und das Weiß der Damenkleidung durchlässt. Kuglers fein gearbeitete Schuhe knirschen auf dem von Kutschenrädern gefurchten Schotter des Weges.
Wir erreichten bald eine Drahtumzäunung, in der eine Anzahl von Leuten gefangen ist, die meisten weiß gekleidet; manche bewegen sich anscheinend nicht, andere machen plötzlich rasche Bewegungen, die die Augen der Zuschauer fesseln. Ein weißes Körnchen bewegt sich vorihren Mündern, sie schnappen danach, umkreisen es, bleiben stehen, und ändern mit einer heftigen Bewegung ihre Haltung. Sie sind in diesem Aquarium gefangen, beschattet von hundertjährigen Gewächsen, deren Wipfel sich im Windhauch neigen.
Frau Lavinia wird plötzlich nicht durch die kleine Pforte unter die weißgekleideten Leute treten wollen, obwohl dort auch ihre Tochter Karla ist. Ich weiß nicht, ob ihr heiß ist oder ob sie sich irgendwo ins Kühle setzen will – wo sonst ist es so angenehm kühl wie hier? –, ich weiß nicht, vielleicht glaubt sie, sich niedersetzen und eine Erfrischung nehmen wäre hier zu teuer; vielleicht fiel ihr auch ein, sie sei nicht elegant genug angezogen, vielleicht erschrak sie plötzlich darüber, zu eng geschnürt zu sein, zu verschwitzt, die Augenbrauen wären schief angemalt (was ihr steht), jeder schaue auf ihre verstaubten Schuhe, weil sie zu Fuß gekommen ist, wohin nur Kutschen rasseln. Vielleicht fürchtet sie sich einfach, ihrer Tochter Karla Schande zu machen? Beim Blick auf das Treiben vor sich hat Frau Lavinia schnell ausgerechnet, was der Eintritt, was ein Kaffee und ein bescheidener Imbiss kosten würde. Sie hat erklärt, wir sind hergekommen, uns den hiesigen Kurort anzuschauen und nicht den ganzen Nachmittag Tennis. Herr Kugler hat nachsichtig gelächelt.
Als wir stehengeblieben waren, bemerkte ich, wie verstaubt Frau Lavinias ausgetretene Schuhe sind, während die von Herrn Kugler nur leicht angestaubt waren, obwohl beide den gleichen Weg hatten, der von Herrn Kugler sogar staubiger war. Herr Kugler hat gelächelt, vielleicht schien ihm, Frau Lavinia wage sich nicht in eine so erlesene Gesellschaft. Er hat leicht den Hut gelüftet, das Drehkreuzdurchschritten, den Lichtfilter, in dem seine weiße Weste und der gelüftete umbänderte Strohhut mit dem Hütchen und dem weißen Kleid der Kronprinzessin Cäcilie in eins flossen.
Ich weiß, mir bleibt nichts anderes übrig, als mich Frau Lavinias Führung zu fügen, ich weiß jetzt schon, wir werden in ein Café oder eine Konditorei gehen – oh Gott, nur in keine Milchbar! –, wo man einen relativ billigen und guten Nachmittagskaffee trinken kann. In diesem Augenblick werfe ich mir vor, die Einladung Frau Lavinias angenommen zu haben, ich würde lieber im Hotel sitzen und warten, ob meine braune Schönheit im Kimono erscheint. Jetzt werden wir also losgehen und uns umsehen, wo wir möglichst billig einen Imbiss einnehmen könnten. Vielleicht werde ich mich zwingen, ein Glas Milch zu trinken! Ich bin doch Frau Lavinia vor der vegetarischen Speisegaststätte begegnet! Sie hat die Auslage betrachtet, nicht weil sie Vegetarierin wäre, sondern weil sie eine neue Art von Einsparung gewittert hat.
Frau Lavinia, die dicke und fröhliche Frau Lavinia, die ihrer Tochter Freiheiten lässt, die kein anderes Mädchen hat, hätte gern einem der verschiedenen Vereine und Kongregationen angehört, was sie sich nicht aus moralischen, sondern aus Ersparnisgründen verbot. Vielleicht wäre sie wirklich Mitglied geworden, wenn sie nicht den Spott von Mann und Tochter gefürchtet hätte. Beide sind ihr genaues Gegenteil und lachen sie bei jeder Gelegenheit aus. Sie schmollt dann ein bisschen, aber lacht gleich wieder. Sie ist bestrebt, die Auswüchse ihrer Sparsamkeit vor Mann und Tochter zu verbergen, die wiederum bestrebt sind, deren Gegenteil vor ihr zu verbergen. Ihr Ehemann liebt guteWeine und Reisen. Die Eheleute Lavinia können einfach nicht zusammen reisen: Frau Lavinia könnte das sinnlos rausgeworfene Geld nicht sehen und ihr
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