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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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mich an keinen Kongress.
    Ich nehme das hohe Fenster und die Tür gut wahr; sie führt auf den Balkon über großstädtischen Flieder und Buchsbaum,
    diesen Balkon, das hohe Fenster, die hohe Tür,
    den Firmennamen Farnhammer tragend,
    für die Giulia Kleider anprobiert,
    ihren Körper in die Stoffhülle zwängt, zu ihren Füßen eine reich in Falten gelegte Schleppe –
    Giulia ist von diesem wunderbaren und vornehmen Rahmen um ihre Figur geblendet. Zu ihren Füßen kniet eine Frau mit Stecknadeln im Mund, eine andere beugt sich zu ihrer Schulter und eine dritte beobachtet die Gesamtwirkung.
    Wo sind die Zeiten, als Giulia zu Professor Lehmann ging und zum Abend gewöhnlich nur trockene Kartoffeln hatte! Als sie im Operettenchor auftrat!
    Giulia geht durch ein hohes Portal, winkt dem livrierten Diener. Sie ist überzeugt, sie wird eine berühmte Sängerin. Indessen probiert sie Kleider bei Farnhammer an. Sie würde sich wünschen, Ernesto sähe, wie sie durch die Hauptstraße geht, ein Taxi anhält und am hohen Portal vorfährt, darüber der Balkon mit dem Firmenschild Farnhammer.
    Ich erinnere mich gut an diese Firma. Ich hätte sie nicht beachtet, wären mir nicht Giulias Worte eingefallen: ich wünsche mir in einem Kleid von Farnhammer beerdigt zu werden. Das war eine ihrer romantischen Vorstellungen. Andere Frauen, wären sie so oberflächlich und sentimental romantisch, dächten vielleicht an etwas, was sie auf der Welt am meisten geliebt haben, aber Giulia denkt an Farnhammer, kann das würdevolle Portal nicht vergessen, denlivrierten Diener, die Treppe, das hohe Fenster und die auf den Balkon über der großstädtischen Allee führende Tür; durch das hohe Fenster flutet Licht auf die vor dem Spiegel stehende Giulia, in Seide gezwängt, mit einem wunderschönen Stoff drapiert, mit den knienden Gestalten zu ihren Füßen. Giulia möchte, Ernesto solle sie in diesem Augenblick sehen. Ernesto, dessen Ehrgeiz Giulia zu unerheblich war. Sie möchte sagen: wer von uns beiden hat Erfolg?! Giulia verachtet Ernesto in diesem Augenblick. Sie sieht im Spiegel ihr prachtvolles Bild, dem Ernesto sich beugen, vor dem er knien sollte. Sie weiß, sie wird Ernesto nie dort sehen, wo jetzt die Frauengestalt mit den Stecknadeln im Mund kniet. Sie wird ihn nie dort sehen, wo die reichen Falten des prächtigen Stoffes enden. In diesem Moment genügt ihr aber das Bild, bei dem nur Ernestos Platz unausgefüllt bleibt.
    Als ich in Berlin der Aufschrift Farnhammer gewahr wurde, erinnerte ich mich augenblicklich an Giulia.
    Ich sehe den Balkon, die hohen Fenster in Prag. Hier irgendwo in der Nähe wohnte damals Ernesto, als ich ihn zusammen mit Matteo besuchte.
    Ernesto fragte mich: »Was macht Giulia?« Giulia hatte nie zu fragen versäumt: »Was macht Ernesto?« Ich muss hinzufügen, das war zu einer Zeit, als ich mit Giulia alle paar Jahre einmal sprach und mit Ernesto nicht viel häufiger. Immer fragten beide das gleiche, nur die Betonung war jedes Mal eine andere: hochmütig, melancholisch: Wie geht es Giulia? Mit Neugier, Nachsicht, Überlegenheit, Bitterkeit, Gleichgültigkeit. Wie geht es Ernesto? Mit Reue, Anteilnahme, Überlegenheit, Stolz, Bitterkeit, Genugtuung, Gleichgültigkeit; mit dem Gedanken an dashohe Portal, die Treppe, die hohen Fenster, an die hohe Tür auf dem Balkon, in Wien, in Berlin?
    Ich atme Großstadtluft, die lauwarme Großstadtluft der hohen Portale, der hohen Fenster, der auf den Balkon führenden Tür. Viele Männer und Frauen werden die unsterblichen Gefühle und Gedanken von Giulia und Ernesto leben, aber davon wird man nicht berühmt und niemand wird ihre Namen nennen. In meinem Kopf aber leben ihre Schicksale. Ernesto und Giulia würden freilich sagen: »Das ist nicht mein Schicksal, ich heiße nicht Giulia, ich heiße nicht Ernesto.«
    Ich sehe Giulia bei Farnhammer, umflossen vom Licht der hohen Fenster und der auf den Balkon über der großstädtischen Allee führenden Tür; ihre herrliche Gestalt ist in Stoff gezwängt, dessen Falten zu ihren Füßen liegen. Ich atme die laue Luft des Großstadtfrühlings oder -herbstes. Mir scheint, auch der Putz des Balkons atmet, man denkt, er sei Teil der Bewegung, die ich vor mir sehe. Hier irgendwo in der Nähe wohnte Ernesto, ich erinnere mich, wie Matteo und ich ihn besuchten und wie mich in dem gewöhnlichen Mietshaus das Renaissancehimmelbett mit einem kleinen Napoleonportrait am Kopfende überrascht hat.

GESUNDHEITSFRAGEBOGEN FÜR FRAUEN
    Hinweis!

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