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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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gelehnt. Ich schaute nüchtern wie auf ein philharmonisches Konzert: der sterbende Schwan, Salontänze, orientalische Tänze, steppende Matrosen, Komiker, akrobatische Einlagen von Engels- und Teufelsgesichtern, gepuderte, kahle und geschminkte nackte Körperteile. Ich hörte und schaute zu wie bei einer klassischen Darbietung. Ich sah Danaidenakrobatik.
    Ruspoli habe ich danach nie wieder gesehen. Ich habe mich an ihn erst erinnert, als ich (später) von einem finanzpolitischen Skandal hörte, in den er verwickelt war und der ihn angeblich um Namen und Rang brachte. Giulia rühmte sich erstaunlicherweise nie seiner Bekanntschaft. Nach meiner Berechnung dauerte sie gerade etwa vierundzwanzig Stunden, einen Teil dieser Zeit war ich im Belvedere umhergestreift, einen Teil habe ich im Theater versessen und den Rest in der Taverne. Jenes Brillantenband (es geht mir nicht aus dem Kopf) habe ich in späteren Jahren bei Giulia nicht mehr gesehen. Erstaunlicherweise sprach sie nie über Ruspoli, nicht einmal als sein Namen durch die gesamte Weltpresse ging. Damals war auch ich in Versuchung zu bemerken, dass ich mit Ruspoli im Wagen gefahren sei, mit ihm eine Nacht in einer Taverne verbracht hätte.
    Einige Tage danach erzählte mir Giulia, Ruspolis Frau sei im Sanatorium (oder war das nicht so? Ich kann das leicht durcheinanderbringen, weil Giulia oft über Ehefrauen sprach, die im Sanatorium sind), er lebe mit seinerWirtschafterin, einem alten, dicken und bösen Weib, das er fürchte und dem er aufs Wort gehorche.
    Ich forschte nicht nach, ob das wahr sei. Doch ich wollte von Giulias Appetit erzählen. Es bedeutet gar nichts, dass sie bei dem Souper mit Ruspoli fast nichts gegessen hat. Das bedeutet gar nichts. Bei anderen ähnlichen Gelegenheiten (während meines Besuchs gab es einige) aß Giulia mit Appetit und Konzentration, wie es Frauen in solchen Situationen selten zeigen. Ich erinnere mich gut, wie sie mich genötigt hat, ich solle mit ihr in Gesellschaft eines dicken Herren, den sie mit »Konsul« anredete, zu Mittag essen.

HERKULES, MARS UND VENUS
    Lieber Leser, wir benutzen die gleichen Zahncremes, oder wenigstens ähnliche. Ich vermute sogar, wenn sich die Amerikaner von den Tschechen durch etwas unterscheiden, dann durch die Empfindungen, mit denen sie morgens den Metall- oder Kunststoffverschluss der Zahnpasta abnehmen. Das nennt man Allgemeine Psychologie, die du bestimmt genau wie ich, der Romanpsychologie vorziehst. Aber wo ist Leidenschaft? Wille? Wo ist Zeit, wo Geschichte und Geheimnis? Sie sind den Erfordernissen des bürgerlichen Lebens hygienisch angepasst. Der Liebestrank wird in Romanen zu einem Hygieneprospekt über Mundwasser destilliert. So erfordern das die Statistiken, mit denen die großen Handels- und Industriebetriebe arbeiten. Lesen Sie deren Fragebögen!
    Welchen Weg werden wir wählen, lieber Leser? Den Weg der Psychologie? Die Methode des Zahncremeprospekts? Den Weg des Industriefragebogens? Den Weg des neuzeitlichen Romans, der die beiden vorangehenden verbindet? Wo der Mann, vor vielen tausend Jahren Tänzer, sich eine künstlich aus eigenen Gefühlen und Erfahrungen geschaffene Maske aufsetzt?
    Wer aber würde nicht einer Welt, deren Geheimnis so lange durch den Körper irrt, bis rhythmisches Fußstampfen es zur Kehle hinaustreibt, den Vorzug vor einer so ruhigen Zeremonie geben, wie es die gegenwärtige Wortkunst ist?!
    Das menschliche Geheimnis verehren wir nicht mehr im Feuer, in der Maske, im Rausch, sondern reihen es gehorsam neben Zahnbürste und Zahncreme ein. Es sind dieselben alten Geheimnisse: ja, wenn du gut und aufmerksam hinschaust, wirst du in der Vertiefung der weißen Wanne die Vertiefung einer Steinwanne, den Sarkophag eines Kreuzritters erblicken, der auf dem Weg ins Heilige Land, belastet von vielen Sünden, vielen Tugenden, vielen Geschichten, den Tod fand, und nur diese Vertiefung bleibt von ihm übrig, duftend nach Sonne, Meer und aromatischen Kräutern, eine Steinmulde, mit blühenden goldenen Flechten. War dieser Ritter ehrgeizig? Wer kann das sagen! Sollen wir nach seinen Taten urteilen? Nach welchen? Die einzige Wahrheit, die wir über ihn erfahren können, gibt uns vielleicht ein junger Archäologe, der sich die Zähne mit einer Zahnpasta putzt, die ein gesundes Gebiss garantiert.
    Die junge Dame auf der Abbildung zeigt schöne Zähne. Der junge Archäologe denkt an den Mund, den Anblick seiner Geliebten, und ist er ehrgeizig, vergisst er nicht die

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