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Bel Canto (German Edition)

Bel Canto (German Edition)

Titel: Bel Canto (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milada Součková
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Vertiefung des Sarkophags, aus der er Geschichte herauslesen soll. Er putzt sich die Zähne mit einer Zahnpasta, die ein gesundes und schönes Gebiss garantiert.
    So sieht Reklame auf der Zahnpasta aus: Sie garantiert Ihnen ein schönes und gesundes Gebiss, einen lieblichen Atem und ein angenehmes Lächeln. Sie geht so weit, auf Ihre Erfolge anzuspielen, auf Ihre Liebeserfolge – eigentlich eine stilistische Leistung: ein Reklamegedicht auf der Zahnpastatube, rosafarben, weiß; das ist das eigentliche psychologische Meisterwerk dieses Kapitels der Zahnpastareklame. Daneben ist das literarische Werk erfolglos, ein veralteter Artikel, der sich weitschweifig und nutzlosüber den Roman von Ehrgeiz und Liebe verbreitet, der um vieles besser auf der Zahnpastapackung ausgedrückt ist. Wir halten uns natürlich so lange an die sogenannte Schicklichkeit und die sogenannte Psychologie.
    Die Wanne glänzt in weißer Emaille, das Glas funkelt, das Metall blitzt, die Bürste schäumt, der Spiegel wirft das Bild einer Schönheit zurück, von ihr spricht die Zahnpasta. Hygienisch gut gewählte Worte strömen aus, eine gesunde, den menschlichen Geist bewahrende Nachkommenschaft (wirklich gesund?) und Geschichte.
    Der junge Archäologe hat die Steinwanne des ehrgeizigen römischen Bürgers gegen die Emaillewanne eines Mietshauses ausgetauscht. Hat er auch alle Wörter seiner Sehnsucht und seines Ehrgeizes ausgetauscht?
    Die Bürste bewegend, lauern hinter den Formen des Zahnputzglases, der Zahnbürste, der Zahnpasta, den Rasierklingen die Formen einer von den Fußsohlen bis in die Hände strömenden Göttlichkeit.
    Wörter, springt heraus aus diesem Kreis der Zeremonie des Zahnputzwassers, der Bürste (und seid wieder Kunst!) – springt heraus, geliebte Wörter aus der psychologischen Zahnpastamethode! Springt heraus und lasst uns aufstampfen und um die von unserer Bangigkeit und Leidenschaft geschaffene Gestalt herumtanzen! Tanzen wir so lange, bis sich unsere Seele vom antiseptischen Zahnpastageruch freimacht, tanzen wir so lange, bis unser Körper den schrecklichen Gestank unseres Geheimnisses und unserer Tränen verströmt! Überlassen wir Ehrgeiz und Liebe der Psychologie, der Zahnpastareklame und verfolgen weiter das Leben ungewöhnlicher Form, aus der sein Geheimnis geboren wird. Wir wollenes nicht wissen, können aber nicht ertragen, dass es in der Tiefe unseres Wesens lebt, wir wollen es, würde es sich zeigen, verjagen, aufscheuchen, wenn nicht als ganzes, so wenigsten dort, wo unsere Hände, Augen, Köpfe, Münder, Worte sind!
    Ja, wir müssen es überraschen, wie so oft in pikanten Genreszenen, wo die Geliebte, um unerkannt zu bleiben, das Gesicht zu verhüllen trachtet, aber damit die gesamte Situation eindeutig macht (ganz zu schweigen von der gewissen Unordnung ihrer Kleidung).
    Herkules überrascht Mars und Venus!
    Giulia hat den schönen Körper einer Venus, die vorgeschriebene Größe, einen kleinen Busen (einen zu kleinen, die Kolleginnen aus dem Chor bei Ronacher machten sich deswegen über sie lustig), die richtige Sitzgröße, sie hat die vorgeschriebenen Maße für Hüften, Bauch und Gesäß, ebenso schön wie die anderen Rundungen; sie hat die langen Beine einer Venus, deren schöne Finger und Füße. Vielleicht, ich sage vielleicht, entsprechen ihre Beine an den Waden nicht den vorgeschriebenen Maßen, vielleicht, aber das müssten wir an der liegenden Giulia-Venus, an der ruhenden blondhaarigen Venus, ausmessen.
    Ich bin nicht in ihre Seele eingedrungen wie andere Romanautoren. Ich kenne aber ihren Körper; wie oft habe ich ihn gesehen: Venus, nur mit dem Goldvlies bekleidet, wie oft habe ich sie nur in Pantöffelchen gesehen, in der Theatergarderobe, über ihre Blöße hastig das Kostüm des nächsten Aktes werfend: Hol mich der Teufel! Wie oft sah ich ihren nackten Körper neben dem chinesischen Hündchen, das im dritten Akt mitspielte und im Körbchen geduldig auf seinen Auftritt wartete.
    Wie oft erzählte mir Giulia dabei, heute sitze ihr neuer Bewunderer im Zuschauerraum, er sei der schönste, wohlhabendste, einflussreichste oder klügste Mann von ganz Wien, oder er war nichts von all dem und Giulia liebte ihn einfach.
    Dass nach einiger Zeit von all diesen Möglichkeiten keine einzige wahr geworden ist, änderte nichts daran. Giulia glühten die Wangen, ihr blondes Haar; die blauen Augen mit den dunklen (naturdunklen) Wimpern strahlten und über ihren Venuskörper glitt das prächtige

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