Bel Canto (German Edition)
von Herrschern, Fürsten, Königen und Feldherren. Die von Soldaten bewachte Lagerstatt, eine Lagerstatt, über deren Traum vom Ruhm vier Säulen Ehrenwache halten. Eine Lagerstatt, wie wir sie in einem normalen Mietshaus nicht antreffen. Vielleicht hätte sie nur den Eindruck eines etwas unüblichen Luxus gemacht, wenn an ihrem Kopfende nicht ein Bild Napoleons gehangen hätte. Das verlieh der Renaissance (unecht oder echt? Nie habe ich das Bett genauer angesehen, nicht einmal als ich Ernesto fragte, wo er es her habe. Ich vermute, es war eine Imitation) die Vorstellung niedriger Türen, durch die gebeugt Verschwörer treten, eines Tisches, auf dem Kriegskarten liegen, einer von Wächtern bewachten Lagerstatt, einer Lagerstatt, auf der ehrgeizige Träume von Macht und Ruhm ruhen.
Wer würde in einem normalen Mietshaus (wenn er die Treppen hochsteigt), wer würde hinter Türen, die das Geheimnis bürgerlichen Lebens hüten, erwarten, dass er so ein Bett für Träume vom großen unzufriedenen Ehrgeiz vorfinden wird, für Träume aus dem Brüten über den üblichen Wunsch nach Glück?
Niemandem, der diese Treppe, die jeden Schritt mit dem Widerhall seiner Gedanken beantwortet, hinaufsteigen würde, niemandem, der an Ernestos Tür, der gewöhnlichen Tür eines Mietshauses, läuten würde, wäre eingefallen, dass man durch sie eine Wohnung betritt mit dem Schlafzimmer eines Ehrgeizigen, einem Schlafzimmer, dessen Lagerstatt dem Vergnügen nur soweit vorbehalten ist, als sie dem Ehrgeiz dient.
Es wäre ein herrliches Bild, wenn auf dieser reich verzierten Lagerstatt der Körper einer Venus ruhte, ihreblonden Haare sich von dem geschnitzten dunklen Holz abheben würden – ich kann mir dieses Bild vorstellen.
Ich sah unzählige Male in der Theatergarderobe, nur in Pantöffelchen, ihr Lieblingshund im Hintergrund, Giulias Körper: er schimmerte perlmuttfarben im Widerschein der Edelsteine, wie Meerschaum.
Ich sah das prunkvolle Renaissancebett in Ernestos Wohnung, ich konnte es gründlich betrachten: Breite, Länge, das Schnitzwerk, die am Kopfende hängende Napoleonminiatur. Man hatte den Eindruck, Ernesto ist noch im Alter auf die Einrichtung seines Schlafzimmers stolz. Als er aufs Land ziehen musste, schien es ihm schwerzufallen, sich von seiner Wohnungseinrichtung zu trennen, er hätte sie gern mitgenommen; musste sie aber verkaufen. Bibliothek und Schlafzimmer. Erinnerte ihn dessen Himmel an seinen ehrgeizigen Traum? An Vergnügen, mit denen Ernesto unauffällig prahlen konnte? An Giulia?
Matteo erzählte mir, gegen Ende hatte Ernesto in seinem Nachtschränkchen am Bett eine Flasche Slibowitz: Konnte er nachts nicht einschlafen, hat er drei, vier Gläschen getrunken. Wieso wusste Matteo das? Er hatte Olivo getroffen, als er nachts aus dem Klub heimkehrte, und Olivo, zwar nicht gerade betrunken, aber man konnte erkennen, dass er getrungen hatte, lud Matteo auf ein Gläschen ein.
Matteo kann niemandem etwas abschlagen. Er war schläfrig, hätte sich lieber hingelegt, besonders als er bedachte, morgen früh zeitig aufstehen zu müssen; bringt es aber, wenn er einen guten Bekannten trifft und eingeladen wird oder ihn begleiten soll, nicht fertig, das abzuschlagen.
Er hatte sich gerade gefreut, etwas zeitiger nach Hause zu kommen, als er Olivo traf. Er suchte Ausflüchte, aber nur schwach.
Ernestos Bett kannte er, es hat ihn nicht überrascht, aber dass Ernesto zu Hause trank, hat ihn überrascht. Matteo hat zu Hause auch seine Flasche guten Kognak, aber dass Ernesto Slibowitz in Reichweite des Bettes hat?! Im Nebenzimmer stand eine Flasche Wermut, aber kurz auflachend erklärte Ernesto, das sei nur für Weiber. Matteo hat sich seinen Teil gedacht: gern würde er wissen, ob ein Frauenmund diesen Wermut trinkt. Matteo spürt selbst, dass er nicht mehr jung ist. Er hat sich an Julinka erinnert: wie lang ist das her, was waren wir alle – Matteo rechnet im Kopf seine beliebte Rechenaufgabe: wie lange? Ist es möglich, dass es schon so viele Jahre her ist?
Matteo hat Ernesto noch nie in einem solchen Zustand gesehen, nicht dass er betrunken gewesen wäre, aber schon, dass er Matteo, der nie sein Freund war, spät nachts in die Wohnung einlud. Warum wohl?
Nicht einmal Matteo ist so töricht, Ernestos ungewöhnlich vieles Trinken, wie ein Romanautor damit zu verbinden, dass Giulia vergangene Woche in Prag ein Konzert hatte. Matteo besucht keine Konzerte. Auch Ernesto war nicht zu dem Konzert gegangen, das Giulia unter
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