Bel Canto (German Edition)
aus Angst vor einer Blöße, die sie sich geben könnte.
Beteuert sie mir etwas, was?
Ich habe ihr doch versichert, ich zweifle nicht, dass Ralf sie geliebt habe, sich hätte scheiden lassen, sie geheiratet hätte, wenn es die unglücklichen Umstände (die Krankheit der Ehefrau, das Kind, Freunde und seine Karriere) nicht gegeben hätte.
Ich zweifele nicht, dass Giulia –
Ich höre ihre Stimme, von Tränen verschleiert (nicht den unechten, die sie beim Auftritt mit Ralf vergoss);
sie erzählt mir von ihrer Freundin, die, als sie der Weingroßhändler verlassen hatte, Ralfs Geliebte wurde. Giulia half ihr, lud ihren Großhändler zum Abendessen ein, Rösler hieß er. Und wie vergalt sie das?! Das freilich machte weder Ralfs Frau etwas aus, noch seinen Freunden oder seiner Karriere.
Ließ er sich später nicht scheiden und heiratete? Aber wen? Giulia antwortete nicht, überhörte wohl die Frage, wie auch?
Im Radio spielte man gerade ein Lied von Ralf.
SYNOPSE
Giulia ist eine aufmerksame Gastgeberin. Auch wenn es ihr schlecht ging, hat sie es immer so eingerichtet, für den Gast wenigstens ein Gläschen oder ein paar Kekse parat zu haben. Oft klärte sie mich mit wichtiger Miene auf, wo man vorzügliche und billige Kekse, Gebäck zum Tee oder zum Wein bekommt. Sie fand unverzeihlich, dass mich ihre Unterweisung nicht interessiert; redete mir zu, aufmerksamer ihren Freunden gegenüber zu sein, tat beleidigt, als ich behauptete, keine Besuche zu wollen, dass mich alle, auch meine Freunde, stören; Giulia setzte eine noch strengere Miene auf und erklärte, ich müsse zuerst lernen, wie man sich Freunden gegenüber benehmen solle, lerne ich das nicht, würde das meinem Charakter schaden.
Dafür hat Giulia oft vom letzten Geld ein Flasche Wermut gekauft, um jemanden vom Theater, von einer Filmgesellschaft oder eine Freundin zu bewirten. Vergeblich redete ich ihr ins Gewissen (in Prag), sich nicht mit jedem Beliebigen einzulassen, ich kenne den Typ, der wird den Wermut trinken und Giulia wird nie mehr von ihm hören; vergeblich erklärte ich ihr, die »Freundin« käme nur um zu sehen, wie Giulia wohne, und ihren Bekannten davon zu erzählen. Giulia gab keine Antwort. Sie behauptete, ich »hätte keinerlei Kultur«, und erwartete mit einer Flasche Wermut und einem Teller Kekse den Besuch; vom Besuch der Freundin erhoffte sie, dass sich neue angenehme oder vorteilhafte gesellschaftliche Beziehungen anbahnen undvom Herrn der Filmgesellschaft den Auftrag zu einer Synopse. Dieses Wort hörte ich zum ersten Mal von Giulia.
Sie hatte einen ausgearbeiteten Entwurf zur Einrichtung eines Tonfilmstudios. Sie hat sogar einen Artikel geschrieben: über die Wichtigkeit der Stimmbildung für Filmschauspieler, der in einer Zeitung veröffentlicht wurde. Ich korrigierte den Artikel und muss sagen, Giulia zeigte keinerlei Autorenstolz. Ich glaube, es war kein Originalartikel, er kam von den Schwägerinnen, die eine Firma betrieben, die Kurzartikel und Ausschnittdienste zu verschiedensten Schlagwörtern zusammenstellt. Ich vermute, Giulia hat nichts anderes getan, als den Artikel zu bearbeiten oder zu ergänzen. Vielleicht tue ich ihr Unrecht, aber sie war überzeugt, auf Grundlage dieses Artikels eine Stelle im tschechischen Tonfilm zu bekommen.
Dazu erwartete sie den entscheidenden Besuch eines Mannes, mit dem sie durch Vermittlung ihrer Freunde bekannt geworden war. Ich kannte den Mann und kannte Giulia, ich wusste, welche Folgen das haben kann. Als ich es ihr gesagt habe, hat Giulia angedeutet, ich würde ihr keine Erfolge gönnen.
Heute erwartet sie mich allein, sie weiß, dass ich ihr weder gesellschaftliche Beziehungen noch Aussichten auf Erfolg oder Geltung verschaffe; das versuchte sie mit mir immer vergeblich. Lange machte sie mir verschiedene Vorschläge. Sie kann nicht ganz darauf verzichten. Sie wird es nicht lassen, mir all das auszumalen, was sie für mich tun könnte. Sie erzählt mir von Zeit zu Zeit, sie hätte die Synopsen zu einigen Filmen und Radioskizzen im Kopf und ihr Mann (habe ich noch nicht gesagt, dass sie verheiratet ist?!) verkaufe ihre Einfälle höchst vorteilhaft.
Könne ich mir überhaupt vorstellen, was es heißt, sich im Ausland im Rundfunk durchzusetzen? Ich kann es nicht und schweige. Giulia erwartet auch keine Antwort. Das Gläschen Wermut hat sie wohl darüber hinweggetäuscht, dass in Wirklichkeit ich ihr gegenüber sitze, und nicht jemand vom Rundfunk: gelänge es Giulia, in den Rundfunk
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