Bel Canto (German Edition)
hineinzukommen, bedeute das schlicht Reichtum und Erfolg, wie ich es mir nicht vorstellen könne. Glaube ich daran nicht?
Ich schweige, höre zu und lasse Giulia als Gastgeberin reden, die bei einem Teller Kekse und einem Gläschen Wermut die Möglichkeiten von jemandem, dem eine erfolgreiche Synopse für einen Film oder einen kurzen Radiosketch gelungen ist, weiter ausspinnt.
Ich ließ Giulia ihre Synopse entwickeln, ich schaffe mir meine eigene. Ich lausche den verworrenen Tönen des Radiosketches. Ich höre die Worte:
»Ich habe mich entschlossen, Dienstmädchen zu werden, etwas anderes blieb mir nicht übrig. Den ganzen Tag aß ich nichts als einen Apfel. Die ganze Nacht saß ich und nähte aus Brokatgewändern, die ich aus Europa mitgebracht habe (aus Wien, aber Giulia sagt schon ›aus Europa‹) Kissen. Ich habe mir die Finger blutig gestochen und den ganzen Tag nichts anderes als einen Apfel gegessen. Am Morgen hat Richard (Giulias Mann) die Kissen weggebracht und für das Geld haben wir Essen gekauft.«
Ich kann die Augen von diesem Bild nicht losreißen: eine armselige Absteige, wo Giulia die ganze Nacht sitzt, den schönen alten Brokat eines Messgewandes zerschneidet und daraus Kissen näht.
Ich sehe vor mir den Prunk der Renaissance: Auf die weiße Mondfläche der Nacht, die nach Orangenblütenduftet, wird der Schatten eines brokatumhüllten Rückens fallen, aus seinem Schatten der Degen auffliegen und – beim Gelächter der Freunde – in einen Apfel stechen. Der Schatten wird, vor Schritten sich verbergend, zur Mauer springen, und ist alles wieder verstummt, wird in der Dunkelheit der Brokat aufblitzten, ein zarter Blutstropfen, dunkel im Vergleich mit dem Gold und Silber des Brokats, und die Silbrigkeit der Nacht verfärben.
Wer sprach vom Granatapfel?
Ich, die Amme, oder die Zimmerwirtin.
Der Granatapfel bildet doch das Muster dieses prunkvollen Brokats. Du lauschst, wer schläft und wer nicht schläft, in welchem Zimmer man wacht, in welchem man schläft, wessen Atem es ist, der in dieser herrlichen Nacht nicht schläft. Wessen Atem den prunkvollen Brokat, der einen edlen Körper umhüllt, streift.
Morgens ist das Fenster geschlossen, die alte Straße schläft, der Platz ist verlassen und der Glockenturm badet in der Sonne; der Duft der silbernen Blüten, mit denen die Nacht durchwebt war, hat sich auf Blumen-, Obst- und Gemüsewagen gelegt; ein fauler Apfel rollt über den Asphalt.
Der Degen, auf den er gespießt war, ruht, und der Held atmet im Schlaf, um Kräfte zur Aussprache der Worte zu schöpfen, die ihm, wenn die Synopse ausgearbeitet sein wird, vorgeschrieben werden. Ich sehe sein Gesicht, die fast mädchenhaften Lippen, zärtliche Augen, die ringgeschmückte Hand. Den Helden wird ein zartes Wiegen im Schlaf stärken, das den Brokat über seiner Brust straffen, seine schlanken Beine erquicken, ihm Kraft zum Ausfall im Zweikampf, zum Kniefall vor der Geliebten geben wird.Nur der Schlaf kann seinen Lidern jenes zarte Beben verleihen, das seiner Geliebten das Geständnis entlockt: Ich liebe Euch, Herr.
Ein Fußgänger stößt den Apfel weg und das Brokatwams wird an einen »Antiquitäten«-Laden verkauft.
Ebenso ist das Messgewand abhanden gekommen. Wie wird man das Liebespaar bei der Trauung segnen?
Giulia bringt mir bei, wie man aus Konserven bequem und einfach kocht. Was Giulia wohl alles in dieser Zeit erzählt haben mag, als ich nicht hingehört habe?! Richtig, sie erzählte den Inhalt der Synopse für einen Film, die sie einer Filmgesellschaft einreichen wird, zu der sie über Herrn Littmann bestimmte Verbindungen hat. Giulia ist wahrscheinlich bei den Schlussszenen angelangt, denn ihre blonden Haare leuchten und ihr Gesicht hat sich vom Wermut und vom Erzählen leicht gerötet.
Den ganzen Sommer, als sie die Villa gemietet hatten, das kleine Landhaus – sieh einer an! Giulia gesteht, es war ein kleines Haus. So also gerieten wir zu Konserven!
Ein Anruf genügt und man wird Ihnen praktisch ein komplettes Mittagessen ins Haus liefern: eine Dosensuppe, Fleisch: Kotelett, Schnitzel, Huhn, das nur noch für ein paar Minuten in eine Elektropfanne oder in die Gasröhre muss; die Mehlspeise (wer würde bei dieser Hitze warme Mehlspeisen machen!) werden wir einfach aus der Büchse nehmen, sie zubereiten und in den Eisschrank stellen; dennoch war Giulia, da es nicht in der Stadt, sondern auf dem Land war, den ganzen Sommer über zum Kochen verurteilt. Dort gab es natürlich weder
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