Bélas Sünden
als großer Zufall gewesen, wenn ich von alleine auf dieses Thema gekommen wäre. Meta wusste Bescheid, hatte sich auch denken können, wer mich auf die Idee gebracht hatte. Und auf ihre verdrehte Art hatte sie versucht, der Polizei das Motiv zu nennen. Meine Tochter konnte mit diesem Mord nichts zu tun haben. Und mein Mann noch viel weniger. Dass sie ein Verhältnis miteinander hatten, musste eine andere Geschichte sein. Das mit dem Haar auf meinem Kissen war sieben Wochen her. Ein paar Tage später fuhr ich nach Hamburg. Ich weiß nicht, wie oft wir bis dahin gestritten hatten. Ich wollte nur, dass Béla es zugab, sagte ihm nicht, dass ich wusste, mit wem er mich betrog. Ich wollte ihren Namen von ihm hören, drohte ihm alle möglichen und unmöglichen Konsequenzen an, wenn er mir nicht endlich die Wahrheit sagte. Er blieb dabei. Es sei nur einmal gewesen. Schließlich wurde er ebenfalls wütend, spielte den Beleidigten, erging sich seinerseits in Vermutungen, warum ich einen Streit nach dem anderen provozierte. Früher hatte ich doch auch nicht so ein Theater gemacht. Wenn ich es nun tat, noch dazu grundlos, konnte es nur eine Erklärung geben: ich hatte einen anderen Mann und wollte ihn loswerden. Dann lenkte er wieder ein und wollte mit mir schlafen. Ich wollte nicht. Aber ich wusste, wenn ich es nicht tat, verlor ich ihn. Das hätte ich nicht ertragen. Es war nicht mehr schön in seinen Armen, es war ein Gefühl von Ohnmacht. Mein Körper reagierte mit Lust auf ihn, und neben der Lust verglühte ich an meiner Angst. Wenn ich morgens aufwachte, fühlte ich mich wie ein Häufchen Asche. Dann stand ich lange vor dem Spiegel. Vierzig Jahre alt! Ich konnte mir pfundweise Cremes auf die Haut schmieren. Ich war nicht mehr einundzwanzig, und das sah man. Und das Schlimme war, er hatte mich nie als Einundzwanzigjährige gesehen. Plötzlich dachte ich, ich sei schon eine alte Frau gewesen, als ich zum ersten Mal mit ihm schlief. Wie hatte er mich überhaupt je lieben können? Und wie konnte er es jetzt noch, wo er sie gehabt hatte? Mindestens – wenigstens einmal! Musste ich ihm das glauben? Und wenn ich ihm das glauben musste, konnte es dann nicht doch irgendeine andere gewesen sein? Die Blonde, die mir im Lokal aufgefallen war? War Sonja doch noch ausschließlich meine Tochter und nicht meine Rivalin? Ich wurde nicht fertig mit der Situation und stürzte mich kopfüber in die Arbeit, um nicht unentwegt grübeln zu müssen, ob ich beiden Unrecht tat. Aber arbeiten konnte ich auch nicht richtig. Wenn Sonja zu Besuch kam, wurde es unerträglich. Wenn sie mich fragte, wann die nächste Lesung war, glaubte ich an meiner Antwort zu ersticken. Den halben Tag saß ich am Schreibtisch, starrte den Computer an, erkannte oft nicht einmal die Schrift auf dem Monitor. Ich tippte hier etwas dazu, nahm dort etwas weg, verdarb mir Szenen, die bereits abgeschlossen und gut gelungen waren, durch unsinnige Änderungen. Und meine Mutter flüsterte mir zu:»Was nützet mir ein schöner Garten, wenn andere drin spazieren gehen.«
Aber doch nicht das eigene Kind. Ich beschrieb Zettelchen mit der Ungeheuerlichkeit:»Er betrügt dich in deinem eigenen Bett. Er betrügt dich mit deiner eigenen Tochter.«
Oft lagen solche Sätze tagelang auf dem Schreibtisch. Ich las sie morgens, wenn ich mich hinsetzte, und mittags und abends, zwanzigmal am Tag. Und ebenso oft fragte ich mich, ob es die Wahrheit sei und was ich tun konnte. Bei jeder anderen Frau hätte ich Béla den Namen ins Gesicht geschrien. Bei ihr jedoch… Allein die Vorstellung, dass er mich anstarrte, schuldbewusst den Kopf senkte und nach einer Entschuldigung oder Erklärung suchte. Oder dass er mir schlicht und einfach sagte:»Es tut mir Leid, Liska, ich liebe sie.«
Man wird verrückt dabei, ganz langsam, aber ganz sicher. Und dann setzt man sich in den Wagen, oder man lässt sich zum Zug bringen. Man lässt sich zum Abschied küssen, fährt nach Hamburg, Hannover, Augsburg, Bremen, Heidelberg, Kassel, Aachen. Man liest dreißig Seiten über Liebe und Mord und sieht Bilder von einer jungen Frau, die man noch ein bisschen als Kind betrachtet, auch wenn sie einen fast um einen Kopf überragt. Man schaut mit dem geistigen Auge zu, wie sie sich auf dem Laken rekelt, wie sie geliebt wird. Und dann diskutiert man darüber, ob jeder Mensch imstande ist, zu töten oder töten zu lassen. Vom Freund oder einer Freundin. Manchmal war ich nahe daran, mit Meta zu reden. Sie zu bitten, mein
Weitere Kostenlose Bücher