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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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wilde Vorwürfe oder Liebesbe-teuerungen. Aber es war alles normal. Zwei junge Männer, von denen einer Damenbesuch bekam und der andere ohnehin gerade gehen wollte.

    Béla begleitete ihn hinaus, zog die Tür hinter sich zu. Ich hörte sie auf dem Flur noch miteinander reden, nur ein paar Sekunden lang und so leise, dass kein Wort zu verstehen war. Dann wurde es für ein paar Sekunden still. Mein Magen zog sich zusammen bei der Vorstellung, auf welche Weise sie sich voneinander verabschiedeten. Für einen Moment hatte ich das Bedürfnis, auf der Stelle wieder zu gehen. Dann hörte ich Schritte auf der Treppe, Béla kam zurück ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich, kam langsam näher. Er streckte mir beide Hände entgegen und erkundigte sich beiläufig: »Trägst du Strümpfe, Liska?« Als ich nickte, führte er mich zum Bett. Wegen der alten Stühle befürchtete er, ich könne mir Laufmaschen in die Strümpfe ziehen. Nachdem ich mir in dem Federbett eine Kuhle zurecht gedrückt und darin Platz genommen hatte, holte er sein Keyboard aus einer Ecke des Zimmers und stellte es auf den Tisch. Bevor er sich hinsetzte und zu spielen begann, ging er zur Tür, öffnete sie wieder und rief hinunter: »Jetzt fange ich an.« Und dann fing er an. Er spielte ohne Noten, meist mit geschlossenen Augen. Es war faszinierend, ihm zuzuschauen. Ich kannte die Melodie nicht und wollte seine Hände sehen. Also stand ich nach einer Weile vom Bett auf und stellte mich hinter ihn. Das schäbige kleine Zimmer war viel größer geworden. Wie er gesagt hatte:
    Ein weites Land, in dem man frei ist.
    Ich machte mir wirklich nicht viel aus Musik. Tagsüber wurde ich acht Stunden lang von Endlosbändern berieselt, die nahm ich nicht mehr zur Kenntnis. Wenn ich abends noch schreiben wollte, störte Musik mich nur. Ich kannte gar keine Musik, jedenfalls keine richtige. Was Béla den Tasten entlockte, war traumhaft schön. Und wie er vor dem Instrument saß, den Kopf ein wenig geneigt. Ein schmaler Nacken unter dunklen Locken.
    Es wurde mir erst bewusst, nachdem es passiert war. Ich beugte mich hinunter und küsste ihn auf den Nacken. Er kümmerte sich nicht darum, war viel zu versunken. Ich glaube fast, wenn das Haus abgebrannt wäre, das hätte er auch nicht gemerkt. Er spielte ungefähr eine halbe Stunde ohne Unterbrechung. Dann drehte er sich plötzlich zu mir um und stellte fest: »Ich wusste, dass es dir gefällt.« Ich ging zum Bett zurück, setzte mich wieder in die Federbettkuhle und fragte: »Was war das?« Ich dachte, es sei etwas Klassisches gewesen, ein Konzert von irgendeinem großen Komponisten. Béla zuckte mit den Achseln. »Nichts Bestimmtes. Ich spiele es, wie es kommt.« »Spiel es noch einmal.« Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Ich kann etwas anderes spielen, aber nicht dasselbe.« Er konnte keine Noten lesen. Den Gerhard Wendland zum Tanztee spielte er auswendig. Und diese herrlichen Stücke konnte er nicht auf Papier bannen und nie wiederholen. Das wollte er auch nicht. »Früher«, sagte er, »habe ich oft ein Bandgerät mitlaufen lassen. Aber wenn ich es mir dann noch einmal anhörte, war es nicht mehr so schön. Das Schöne daran ist das Neue, das Unbekannte. Es ist wie mit einer Frau, Liska, verstehst du, was ich meine?
    Ich weiß nicht, welchen Ton ich in der nächsten Sekunde spiele. Dann bin ich ganz gespannt und warte und horche, und dann kommt er. Und er ist einmalig.« Frau hatte er gesagt. Mir war so leicht in dem Moment.
    Es war alles in bester Ordnung. Béla blieb am Tisch sitzen, während er weitersprach. Die Tür stand noch weit offen. »Das Keyboard ist nicht schlecht, aber es gibt bessere. Eines Tages werde ich ein besseres haben. Ich warte jetzt auf das Geld.«

Er lächelte. »Der Pfennig, Liska. Wie lange hat es bei dir gedauert?«
    »Drei Monate.«
    »Dann muss ich nicht mehr lange warten.«
    »Vielleicht bringt er dir in anderer Hinsicht Glück«, sagte ich.
    »Du meinst in der Liebe?« Er lächelte wieder. »Da muss er mir kein Glück bringen. Da habe ich schon genug.«
    Ja, das hatte ich gesehen. Glück an beiden Ufern, wie es schien. In dem Augenblick hatte ich das Gefühl, einen Eisblock anstelle des Herzens zu haben. Ich wusste nicht, ob ich mich damit auseinandersetzen konnte, wollte aufstehen und heimgehen. Nein, eigentlich wollte ich nicht. Ich wollte wissen, wer stärker war, der Blonde oder ich. Ich wollte mit ihm schlafen, jetzt, sofort, auf der Stelle. Er wusste das, schaute

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