Bélas Sünden
schöner Garten, wenn andere drin spazieren gehn.«
Heinz war nach ein paar Wochen der Meinung, dass ich mich auf eine sehr riskante Sache eingelassen hätte. Als er mir das zu erklären versuchte, hatte er Béla ein einziges Mal zusammen mit Andreas gesehen. Und er hatte nicht mehr gesehen, als dass sie nebeneinander im Auto vor dem Haus saßen. Aber das reichte ihm – wie Sabine in derselben Situation –, mit erstaunlicher Hellsichtigkeit zu erkennen, was ich zu übersehen oder zu verdrängen versuchte. Heinz machte sich große Sorgen wegen Aids, das man seiner Meinung nach nie vergessen durfte, auch wenn es zeitweise in der Versenkung verschwand und von anderen Katastrophen oder Seuchen abgelöst wurde. Heinz war wohl ein bisschen eifersüchtig. Verständlich, nicht wahr? Aber ich wollte mir nicht auch noch über Krankheiten den Kopf zerbrechen müssen. Anfangs dachte ich an ein paar Wochen. Ich wollte nicht betteln. Wenn ich spüren sollte, dass Bélas Interesse an mir nachließ, wollte ich gehen – und mich anschließend erinnern. Dann dachte ich an ein paar Monate, von denen ich später zehren, über die ich schreiben könnte. Und dann dachte ich an Ewigkeit. Wer kann schon einen Traum wieder aufgeben, wenn er ihn einmal in den Händen hat? Bis zu dem Zeitpunkt, als Béla bei mir einzog, gab es keine Schattenseiten, nur Hindernisse. Es war nicht leicht, mit ihm ein einigermaßen geregeltes Leben zu führen. Tanzen gehen am Samstagabend? Völlig ausgeschlossen.
Ein gemütlicher Sonntagnachmittag auf der Couch oder ein Spaziergang durch die Stadt, Händchen halten und die Blicke der Passanten genießen, zur Krönung ein Besuch im Café? Nichts zu machen. Und ein guter Kinofilm am Sonntagabend? »Liska, was soll ich tun? Ich muss doch arbeiten. Wenn ich nicht komme, stehen Andreas und Werner auch auf der Straße.« Andreas und Werner waren ihm sehr wichtig. Sie hatten ihm vor Jahren den Start im fremden Land ermöglicht. Sie hatten ihn zum ersten Mal vor ein richtig gutes Instrument gesetzt. Sie waren seitdem der Meinung, dass man einen Béla nirgendwo sonst hinsetzen durfte. Von ihm abhängig waren sie jedoch auf keinen Fall.
Werner war der Schlagzeuger der kleinen Band, bereits verheiratet und hauptberuflich bei einer Bank angestellt. Er war nicht angewiesen auf das kleine Zubrot, spielte nur Béla zuliebe zum Tanztee auf. Und Andreas war Berufsmusiker, arbeitete hauptsächlich im eigenen Studio, wo er Filmmusiken komponierte. Als einziger Sohn wohlhabender Eltern bekam er an finanzieller Unterstützung, was immer er brauchte. Aber er brauchte nichts, weil er mit seinen Kompositionen ein Vermögen scheffelte. Zwei Wochen im Monat verbrachte Andreas in den USA, allerdings nur von dienstags bis freitags. Am Wochenende stand er bereit, in die Gitarrensaiten zu greifen. Allein die Flüge mussten ihn ein Vermögen kosten. Doch das konnte er sich leisten. Er war ein begehrter Mann in den großen Filmstudios. Und er hoffte darauf, Béla eines Tages zu einer Zusammenarbeit in diesem Bereich bewegen zu können. Manchmal sprach er davon, wie erfolgreich sie sein könnten, Bélas Inspirationen und seine Technik.
Nur lag Béla nichts an Erfolg und einer Karriere als Studiomusiker. Und wenn er Schnulzen spielen musste, er wollte sein Publikum sehen. Samstagabend und Sonntagnachmittag spielte er mit seinen Freunden Gerhard Wendland, Heintje und Roy Black. Die Woche über verdingte er sich als Alleinunterhalter. Und wenn ihn niemand engagierte, hatte er eben frei. So wie an dem Montagabend in seinem Zimmer. Das war ein Abend im Oktober, dienstags hatte er auch Zeit für mich. Ein bisschen Musik, damit es nicht gar so sehr aussah, als käme ich nur, um mit ihm zu schlafen.
Aber wir wussten beide, dass ich deshalb kam. Und Béla machte ein kleines Fest daraus.
Wenn ich geglaubt hatte, der erste Abend mit ihm sei ein Gipfel gewesen oder einmalig, in gewisser Hinsicht war er das. Nur gab es viele Gipfel, und jeder war anders. Béla war ein Naturereignis. Er konnte Gedanken lesen, Wünsche erraten. All die Dinge, die man nicht auszusprechen wagt, weil sie ein bisschen zu gewagt erscheinen, bei ihm erschienen sie nur natürlich. Es gab Sekunden, in denen ich nichts mehr sah und nichts mehr hörte, nur seine Stimme, das leise, träge: »Langsam, Liska, nicht hetzen.« Aber irgendwann ging es nicht anders. Irgendwann hockte ich über ihm. Ich hatte keinen Kopf mehr, nur noch Hüften, die er mit beiden Händen hielt, damit ich
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