Bélas Sünden
brachten mich wieder ins Lokal, gaben mir noch einen Sherry und eine Zigarette. Zuerst gelang es mir nicht, sie anzuzünden, dann konnte ich sie nicht halten. Sie rutschte mir ständig aus den Fingern. Mein Kopf wackelte immer noch auf den Schultern, ich fühlte es, nur konnte ich das Wackeln nicht abstellen. Der alte Dussing kam zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern. Er murmelte etwas von ganz furchtbar und tragisch. Offermann telefonierte nach einem Arzt. Ich brauchte keinen Arzt, nur einen Kaffee, noch einen Sherry und Béla, so jung und schön und männlich, wie er immer gewesen war.
Er war nicht gealtert in den zehn Jahren, jedenfalls nicht so sehr, dass es mir aufgefallen wäre. Er gehörte zu den Männern, die auch mit fünfunddreißig noch aussehen, als hätten sie gestern ihre erste Fahrstunde genommen. Das hatte ich so geliebt an ihm, das und alles andere. Ich brauchte ihn. Ich wollte, dass er sofort zur Tür hereinkam, dass er den alten Dussing heimschickte und die Polizisten hinauswarf. Dass er mir sagte, ich träume nur. Dass es im August begonnen hätte mit diesem verdammten Traum.
Und dass es immer noch August wäre. Bitterböse Geschichten und rote Träume. Vor zehn Jahren waren noch ein paar bunte dabei gewesen. Wer hätte gedacht, dass sie eines Tages nur noch blutig sind? Ich nicht. Vielleicht habe ich in irgendeinem Winkel geglaubt, ich könne eines Tages das Wort Ende darunter setzen, und damit sei der Fall erledigt. So wie damals, Ende und als Kurzgeschichte toll geworden. An dem Sonntag vor zehn Jahren zog ich kurz vor acht das letzte Blatt aus der Maschine, las alles noch einmal durch, gleich zweimal. Jedes Mal, wenn ich an den Schluss kam, als die Frau fragte: »Warum mich?«, war ich begeistert. Es war eine gute Story, keine von den üblichen. Ich hätte nicht gewusst, welcher Zeitschrift ich sie anbieten sollte. So legte ich sie erst einmal zu den anderen.
Es gab ja bereits einige in der Art, auch wenn die nicht so gut geworden waren. Dann holte ich Sonja bei meinen Eltern ab. Mutter fragte, wie ich das Wochenende verbracht hätte. Ich erzählte ihr von den zwölf Seiten. Später saß ich vor dem Fernseher fast bis Mitternacht. Sonja schlief. Sie hatte die Tür zum Bad aufgelassen. Ich hörte, wie Heinz gegen elf aus der Spätschicht nach Hause kam, wie er sich noch mit Meta unterhielt. Worüber sie sprachen, verstand ich nicht, dafür redeten sie nicht laut genug. Also kein Streit. Von dem Film, der im Fernsehen gezeigt wurde, bekam ich nichts mit. Ich saß nur da, schaute auf den Bildschirm und überlegte, was ich am nächsten Freitag zu Béla sagen wollte oder am übernächsten, wenn er wieder vor der Kasse stand. Das tat er schon montags. Ich war überrascht, als er plötzlich neben mir auftauchte, nicht mal ein Fläschchen oder Döschen als Alibi in der Hand. Er kam sofort zur Sache. »Hat es Ihnen nicht gefallen? Sie waren so schnell verschwunden.« So viel immerhin hatte er bemerkt. Ich lächelte ihn an. Es muss ein merkwürdiges Lächeln gewesen sein, schwankend zwischen Überheblichkeit und Anbetung. »Die Musik gefiel mir nicht«, sagte ich und fügte in Gedanken an: Und dein Freund noch weniger, mein Lieber. Er ist doch dein Freund, oder drückt man das in euren Kreisen anders aus? Sagt man da auch Liebhaber?
Es war nicht viel zu tun, früher Vormittag. Hinten im Laden zeichnete Sabine Gesichtslotion aus und räumte die Flaschen ins Regal. Zwei weitere Kolleginnen machten im Aufenthaltsraum Frühstückspause, Kundschaft war keine im Laden. Wir hatten Zeit für ein kleines Geplänkel. »Und welche Musik gefällt Ihnen?«, fragte Béla. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich höre nicht oft Musik.« »Das müssen wir ändern.« Er lächelte nicht, wirkte sehr ernst in dem Moment, schaute auf das Namensschild an meinem Kittel. Frau Müller. »Musik ist ein großes Land, in dem man frei ist«, sagte er mit verträumten Unterton. »Richtige Musik ist so. Was Sie gestern gehört haben, war Arbeit. Man sagt uns, was wir spielen sollen, und wir spielen es. Ob wir es mögen oder nicht.« Dann beugte er sich zu mir herüber, zeigte auf das Namensschild. »Was kommt vor Müller?«
Wenn ich nur beschreiben könnte, wie er mich ansah. So beschreiben, dass man es fühlt. Fast schwarze Augen, halb im Schatten der Wimpern. Um seine Wimpern musste ihn auch jede Frau beneiden. Manchmal ist die Natur ungerecht, häuft all ihren Überfluss auf die gleiche Stelle. Ich glaube, ich
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