Bélas Sünden
mich immer noch an, warf einen raschen Blick zur Tür. »Soll ich sie schließen?«
Ich nickte nur. Er stand auf, schloss die Tür, blieb dabei stehen und tat so, als ob er auf eine Armbanduhr schaute. Dabei er trug keine. »Wie viel Zeit hast du noch, Liska? Ich hatte nach einer Stunde gefragt. Es ist nicht mehr viel davon übrig.« Ich wollte ihm antworten, aber ich konnte nicht. Der Eisblock taute, das kalte Wasser tropfte mir in den Magen.
»Wartet jemand auf dich?«
Wenigstens den Kopf konnte ich schütteln. Béla kam langsam zum Bett, kniete auf einem Bein davor nieder, legte eine Hand auf mein Knie und schob den Saum des Kleides hoch. »Ich mag bei der Liebe nicht hetzen. Man muss sie genießen wie die Musik. Du willst mich doch, Liska, oder?«
Sein Kopf senkte sich über mein Bein, die Lippen folgten der Hand. Nicken konnte ich auch noch, obwohl das Eiswasser inzwischen meine Füße erreicht hatte und mich ganz starr machte. Es war, als wären meine erotischen Geschichten plötzlich Wirklichkeit geworden. Ich hatte es oft beschrieben, aber nie so romantisch und sensibel, wie Béla es in die Tat umsetzte. Er ließ nichts aus. Irgendwann hörte ich auf zu denken.
Ein paar Mal war ich fest davon überzeugt, dass ich mit dem nächsten Atemzug verbrannte. Aber es ging immer noch ein Schrittchen weiter ins Feuer. Und dann ins Zentrum, mitten hinein in die Glut, es nahm kein Ende. Ich glaube, ich habe geschrien, so lange, bis er mir die Hand auf den Mund legte und flüsterte: »Pst, Liska, die alte Frau wird denken, ich bringe dich um.« Danach war ich leer, einfach nur leer, im Kopf, im Bauch, überall. Und dann musste ich lachen, konnte nicht aufhören. Ich dachte an Sabine, ihre blödsinnige Bemerkung und meine Gedanken dazu, die Béla soeben widerlegt zu haben schien. Das war es, genau das war es, und dafür hatte ich dreißig Jahre alt werden müssen. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, wie es ist, von Kopf bis Fuß eine Frau zu sein, jeden Zentimeter Haut zu fühlen und jeden Nerv im Innern. Und wie sich all das Gefühl im Bauch konzentrierte. Wie es dann hinauslief, so langsam, dass man darüber fast wahnsinnig wurde.
»Warum lachst du?«, wollte Béla wissen.
»Weil ich satt bin«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben richtig satt.«
Er lag neben mir. Quer auf dem Bett. Wir lagen beide quer. Meine Füße berührten den Boden, seit er sie von seinen Schultern genommen hatte. Er richtete sich auf, beugte sich über mich. »Arme Liska. Aber ich habe sofort gesehen, wie hungrig du bist. Soll ich dich morgen wieder füttern?« »Wenn du willst.«
»Ich will immer«, sagte er. Und wie er das sagte, klang es locker und lässig, in keiner Weise bedrohlich. Es klang nach herrlichen Aussichten, nach Ausleben, Austoben, nach unersättlicher Gier und unendlicher Befriedigung. Dass ich hungrig war, hatte er richtig erkannt.
Ausgehungert war ich. Und wenn man einen ausgehungerten Menschen vor eine große Schüssel voller Köstlichkeiten setzt, wenn man ihm erklärt, dass er von nun an jeden Tag so eine große Schüssel leeren darf, soll oder muss, wird er nur das darf hören und sehr glücklich sein. Er kommt nicht auf den Gedanken, dass es ihm irgendwann zu viel werden könnte. Sie haben mich damals alle gewarnt. Aber sie kamen alle mit den falschen Argumenten. Sabine sprach tagelang über Männerfreundschaften, in die eine Frau nicht hineinpasste.
Eine andere Kollegin meinte: »Er wird dich ausnehmen.«
Es gab bei mir nichts auszunehmen. Eine Kurzgeschichte ab und zu, das reichte für den Urlaub, den Gebrauchtwagen, mal eine Bluse und die sündhaft teure Körperlotion mit dem dazugehörigen Parfüm. Meta sagte mit der für sie typischen Abfälligkeit: »Ein Ausländer, der sucht doch nur eine deutsche Frau, damit er hier bleiben kann.« Das war Schwachsinn. Béla war damals schon seit sieben Jahren in Deutschland. Er hatte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis. Er verdiente sein Geld, lag dem Staat nicht auf der Tasche. Es bestand keine Gefahr, dass er eines Tages abgeschoben werden könnte. Und dass Meta ihn nicht mochte, hatte Gründe. Mein Vater faselte etwas von fremder Mentalität und Unterdrückung der Frau. Er verwechselte Ungarn anscheinend mit dem Iran. Meine Mutter kam der Sache ein wenig näher. Nachdem sie Béla kennen gelernt hatte, meinte sie: »Überleg dir gut, was du tust, Lisa. Denk immer an das alte Sprichwort: Was nützet mir ein
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