Bélas Sünden
resignierend, er tat mir ein bisschen Leid.
»Musst du auch Verständnis für mich haben «, bettelte er.
»War erst alles so schön mit uns. Und dann war ich dir zu viel. Aber ich brauche einmal ein Lächeln. Du musst mir sagen, dass du mich brauchst. Dass du mich willst, Liska. Nicht immer nur hinlegen und stillhalten und schimpfen.«
Allmählich beruhigte er sich wieder, hob die Tasse, trank einen Schluck Kaffee und griff danach ebenfalls zu einer Zigarette, bevor er aufzählte, eine lange Liste meiner Sünden. Meckern und schimpfen und ein langes Gesicht. Unzufriedenheit, Lustlosigkeit und nur, wenn alles nach meiner Nase gegangen war, noch ein bisschen Leidenschaft. Wie er es darstellte, klang es fast, als spräche er über Meta, und so schlimm war ich wahrhaftig nicht gewesen, fand ich. Danach war ich wieder an der Reihe. Ich zählte nicht auf, versuchte nur, ihm begreiflich zu machen, wie ich mir mein Leben mit ihm vorgestellt hatte. Dass ich ihn durchaus begehrte, aber nicht siebenmal in der Woche. Dass ich es nicht mehr als Liebe empfand, wenn Sex zu einer Zwangshandlung wurde. Es war ja mal schön, aus dem Schlaf gerissen zu werden. Es war auch mal schön, sich in Arbeitskittel und mit Gummihandschuhen, den Putzeimer neben dem linken Bein, über einen Tisch im Lokal zu beugen, weil es ihn plötzlich danach verlangte. Und nachmittags, wenn wir Zeit hatten. Das war die persönliche Seite, danach kam die allgemeine. Wir saßen bis weit nach Mittag zusammen am Küchentisch und gaben uns redlich Mühe, einen goldenen Mittelweg zu finden, auf dem wir beide einigermaßen zufrieden sein konnten. Zum ersten Mal wurde uns beiden klar, dass wir grundverschiedene Interessen und Vorstellungen vom Glück hatten. Ihm machte es nichts aus, in einem Stall zu schlafen. In seiner Heimat hausten viele Menschen schlimmer, als ich es mir vorstellen konnte. Da wäre ein Haus wie dieses schon fast Luxus gewesen. Ihm reichten ein warmes Bett, genug zu essen, die Musik, andächtiges Publikum, eine liebevolle Frau, ein guter Freund in der Hinterhand und ein paar Mark auf der Seite für Unvorhersehbares. Ich wollte eine vernünftige Wohnung und ein paar Stunden täglich für die Schreibmaschine. Ich wollte einen Mann, auf den ich mich verlassen konnte. Und ich wollte wissen, wie viel Geld mir im nächsten Monat zur Verfügung stand. Was die rein praktische Seite anging, kamen wir nach zähen Verhandlungen zur Einigung. Eine Putzfrau für den Vormittag und eine Frau, die von abends acht bis Mitternacht im Lokal aushalf. Ich durfte am Nachmittag meine schriftstellerischen Ambitionen austoben. Béla durfte von acht bis Mitternacht Musik machen. Kurz vor zwei wurden wir durch Sonja unterbrochen. Sie kam zur Eingangstür herein und wunderte sich auf dem kurzen Weg zur Küche, dass ich die »Bude«
noch nicht aufgemacht hatte. Da klang verdächtiger Jubel in ihrer Stimme mit. Bei der Küchentür blieb sie stehen. Die letzten Strahlen ihres Lächelns bekam ich gerade noch mit, ehe sich der eiserne Vorhang über ihr Gesicht legte. Es kam kein Wort mehr über ihre Lippen. Sie drehte sich auf dem Absatz um. Erst als sie die Eingangstür erreicht und aufgerissen hatte, rief sie:
»Du weißt ja, wo du mich finden kannst. Ruf an, wenn er wieder weg ist. Ich stehe ihm sonst nur beim Packen im Weg.«
Ich kam nicht dazu, ihr zu antworten. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, stand Béla auf. Er stand noch ein paar Sekunden neben dem Tisch, schaute mich an. Dann ging er langsam zur Tür, weiter zur Treppe und die ersten Stufen hinauf. Damit verschwand er aus meinem Blickfeld. Ich weiß nicht, wie lange ich noch in der Küche saß. Ich hörte ihn oben hin und her gehen, Schranktüren öffnen und diverse andere Geräusche. Im Geist sah ich ihn seine restlichen Sachen zusammenpacken. Gleichzeitig sah ich mich am Küchentisch sitzen. An meinem eigenen, an dem ich seit Jahr und Tag Liebesgeschichten, hin und wieder auch eine Mordgeschichte schrieb. Ich sah mich alt und grau, runzelig und dürr. Ich sah Sonja als junge Frau, die am Sonntagnachmittag auf einen kurzen Besuch hereinschaute. Die mich kühl und sachlich fragte, wie es mir ging. Und ich sagte, es ginge mir toll. Ich wolle am Abend zum Tanztee fahren. Sonja meinte, in meinem Alter solle ich mich lieber nicht mehr hinters Steuer setzen. Sie schüttelte den Kopf, als sie feststellte, dass ich wohl hundert werde könnte, und es würde sich bei mir doch nie etwas ändern. Hauptsache, du
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