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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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das Sparbuch mitgenommen. Unseren Grundstein für das neue Lokal brauchte er nun zur Gründung einer Familie, das stand auch in dem Brief. Die erste Hälfte der Nacht stand ich hinter dem Tresen und sah kaum, wer auf der anderen Seite stand. Ich fühlte mich wie erschlagen, völlig leer im Innern. In der zweiten Hälfte lag ich wach, horchte in mich hinein und hatte das Gefühl, mein Herz setze aus. Am nächsten Morgen rief ich Heinz zu Hilfe. An wen hätte ich mich sonst wenden sollen? Sein Lächeln werde ich nie vergessen, dieses zuversichtliche und wissende Lächeln.
    »Jetzt mach dir keine Sorgen, Lisa. Inzwischen müsstest du doch wissen, dass er immer wieder kommt.«
    »Diesmal nicht. Er ist mit Anita weg. Sie ist schwanger von ihm. Er wollte doch unbedingt ein Kind. Und ich wollte nicht.«
    Heinz ließ einen langen Seufzer hören, als ob er an meinem Verstand zweifle.
    »Anita ist verheiratet, hat schon zwei Kinder, einen anständigen Mann und ein neues Haus. Mal sehen, was schwerer wiegt.«
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der Ludwig sie zurücknimmt! Weißt du, was der mir hier für ein Theater gemacht hat?«
    »Trotzdem«, sagte Heinz und fügte hinzu:
    »Lisa, manchmal denke ich, du hast überhaupt keine Ahnung, wie es in einem Mann aussieht. Ich meine jetzt nicht nur in Béla, ich meine alle, den Ludwig eingeschlossen. Natürlich wird er sie wieder aufnehmen, was soll er denn sonst tun, mit zwei kleinen Kindern? Meinst du, er findet so schnell eine neue Frau? Seine Mutter ist zu alt, die Schwiegermutter ist auch nicht mehr die Jüngste. Er muss arbeiten. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Und du glaubst nicht, wie viele es gibt, denen nichts anderes übrig bleibt.«
    Lieber, guter, geduldiger Heinz. Ihn vor meinem Bett liegen zu sehen, war schlimmer als alles, was ich jemals für schlimm gehalten hatte. Ich begriff nicht, was ich gesehen hatte. Es war widersinnig und absurd. Ich wäre gern noch einmal hinaufgegangen, um mich zu vergewissern. Aber ich wusste, dass ich es niemals schaffte, einen zweiten Blick in sein zerschossenes Gesicht zu werfen. Die Polizisten dachten wohl, ich könne den Tatsachen nicht ins Auge schauen. Das Gefühl hatte ich zuerst auch. Bevor wir hinaufgegangen waren, war es schlimm gewesen, furchtbar, entsetzlich, grauenhaft. Aber ich hatte genau gewusst, dass sie ein Tuch wegziehen und ich sagen musste:
    »Das ist mein Mann.«
    Er war es nicht! Ich konnte nicht aufhören, nach Béla zu fragen.
    »Wo ist mein Mann? Ich will sofort mit meinem Mann reden.«
    »Der Arzt kommt gleich«, sagte Offermann.
    »Ich brauche keinen Arzt. Ich bin in Ordnung.«
    Das war ich nicht. Es stand auf der Kippe, das fühlte ich. Jeden Augenblick konnte ich abstürzen, mitten hinein in den Wahnsinn. Es war doch Wahnsinn. Aber allmählich bekam ich meine Gedanken unter Kontrolle, wenigstens in diesem einen Punkt. Béla war nicht tot. Es war tröstlich und immer noch entsetzlich, immer noch furchtbar und grauenhaft, aber es war auch gut.
    »Das ist nicht Ihr Mann?«, vergewisserte Offermann sich zum dritten oder vierten Mal mit zweifelndem Unterton. Ich schüttelte noch einmal den Kopf. Sie waren mehr als überrascht. Auf die Idee waren sie noch nicht gekommen, wie auch? In der Wohnung standen keine Fotografien offen herum, die ihnen einen Vergleich erlaubt hätten. In Fotoalben hatten sie verständlicherweise noch nicht geblättert. Der alte Dussing war nicht bereit gewesen, sich die Leiche anzuschauen.
    »Nein, meine Herren. Das können Sie nicht von mir verlangen. Da spielt mein Herz nicht mit.«
    Er hatte sich nur eine kurze Beschreibung angehört, Größe, Figur, dunkles, lockiges Haar, und dann gesagt:
    »Das ist Béla.«
    Und er lag da oben, als ob er dahin gehörte. Mit Hose, Hemd und Strickjacke bekleidet, Pantoffel an den Füßen, keine Papiere, keine Schlüssel in der Tasche. Drei Schusswunden in der Brust und eine im Kopf. Offermann fragte, ob ich den Mann kenne. Natürlich kannte ich ihn – seit achtzehn Jahren. Ich kannte ihn nicht nur, ich liebte ihn auch ein bisschen. Immer noch, sonst hätte mich sein Anblick kaum so außer Fassung gebracht, dass ich zuerst nur
    »O mein Gott, nein«
    schreien konnte. Ist es für einen Mann, der immer von Freiheit und Abenteuer träumte, ein würdiges Ende, erschossen zu werden? Hätte er das einem Herzversagen in späteren Jahren oder einem Unfall mit dem Motorrad vorgezogen? Armer Heinz, kaum anzunehmen, dass man ihn vorher danach gefragt hatte.

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