Belgarath der Zauberer
einen Stuhl oder ein Pferd gestohlen, kam man meist sehr schnell auf seine Spur. Geld hingegen kann man kaum mehr als das Eigentum eines anderen erkennen, sobald man es erst in der Tasche hat.
Leider sind die Tolnedrer recht besitzergreifend, wenn es um ihr Geld geht und in Tol Malin hörte ich zum erstenmal jemanden »Haltet den Dieb!« rufen. Daher zog ich es vor, den Ort schleunigst zu verlassen.
Ich würde nicht soviel Aufhebens von meinen Angewohnheiten als Jugendlicher machen, wäre da nicht meine Tochter, deren Bemerkungen über meine gelegentlichen Rückfälle ziemlich lästig sein können. Ich will nur, daß die Leute zur Abwechslung einmal meine Version der Geschichte kennenlernen. Hatte ich denn eine andere Möglichkeit, wenn man die Umstände betrachtet?
Seltsamerweise traf ich denselben humorvollen Alten etwa fünf Meilen außerhalb Tol Malins wieder. »Nun, Junge«, grüßte er mich. »Wie ich sehe, zieht es dich noch immer nach Westen.«
»In Tol Malin kam es zu einem kleinen Mißverständnis«, erwiderte ich abwehrend. »Ich dachte, es wäre besser für mich weiterzuziehen.«
Er lachte wissend, und aus irgendeinem Grund ließ sein Lachen mir den Tag fröhlicher erscheinen. Er sah wie ein ganz gewöhnlicher alter Mann aus, mit weißem Bart und weißen Haaren, doch seine dunkelblauen Augen waren in seinem faltigen Gesicht irgendwie fehl am Platz. Sie blickten weise, schienen aber nicht die Augen eines alten Mannes zu sein. Außerdem war es, als würden sie geradewegs durch meine Entschuldigungen und fadenscheinigen Erklärungen hindurchschauen. »Komm, Junge, spring wieder auf«, sagte er. »Wir scheinen noch immer in dieselbe Richtung zu ziehen.«
Während der nächsten Wochen reisten wir durch das Land der Tolnedrer, stets in westlicher Richtung. Das war vor der Zeit als die Leute ihre langen, geraden und gut instand gehaltenen Straßen zu bauen anfingen. Wir folgten ausgefahrenen Wagenspuren, die sich durch die Wiesen schlängelten wie das Wasser auf der Suche nach dem geringsten Widerstand.
Trotz ihrer Abneigung gegen dieses Wort waren die Tolnedrer Bauern, wie fast alle Menschen zu jener Zeit Es gab wenige einzelne Höfe auf dem Land, weil die meisten Leute in Dörfern wohnten, die sie morgens verließen, um auf die Felder zu ziehen. Am Abend kehrten sie dann wieder in ihre Dörfer zurück.
Mitten im Sommer kamen wir eine Stunde nach Sonnenaufgang durch eine dieser Ortschaften, und ich sah, wie die Bauern zur Arbeit gingen. »Wäre es nicht einfacher, wenn die Leute ihre Häuser dorthin stellten, wo ihre Felder liegen?« fragte ich den alten Mann.
»Wahrscheinlich«, stimmte er zu, »aber dann wären sie Bauern und keine Dorfbewohner. Ein Tolnedrer würde lieber sterben, als sich als Bauer zu betrachten.«
»Das ist doch lächerlich«, entgegnete ich. »Sie graben den ganzen Tag im Dreck, und das bedeutet doch, daß sie Bauern sind, oder nicht?«
»Ja«, erwiderte er bedächtig, »aber sie scheinen der Ansicht zu sein, daß das Leben in einem Dorf sie zu Stadtmenschen macht.«
»Ist ihnen das so wichtig?«
»Sehr wichtig, Junge. Ein Tolnedrer will seine hohe Meinung von sich bewahren.«
»Das finde ich dumm.«
»Viele Dinge, die Menschen tun, sind dumm. Halte Augen und Ohren offen, wenn wir das nächstemal durch eines der Dörfer kommen. Wenn du aufmerksam bist, wirst du sehen, was ich meine.«
Es wäre mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, hätte er mich nicht darauf hingewiesen. Im Laufe der nächsten Wochen kamen wir durch mehrere ihrer Ansiedlungen, und ich erfuhr einiges über die Tolnedrer. Ich machte mir nicht viel aus ihnen, aber ich lernte sie kennen. Ein Tolnedrer verbringt so ziemlich jede Minute seines Daseins damit, möglichst genau festzustellen, welchen Rang er innerhalb der Gemeinschaft innehat, und je höher sein Rang ist, desto beleidigender wird das Verhalten, das er an den Tag legt. Er behandelt seine Diener schlecht – nicht aus Grausamkeit sondern aus einem tiefempfundenen Verlangen, seine Vormachtstellung zu untermauern. Er verbringt Stunden vor dem Spiegel und übt hochmütige Posen ein. Vermutlich hat genau das mich so nervös gemacht Es gefällt mir nicht, wenn die Leute auf mich herabschauen, und mein Status als Vagabund verwies mich auf die unterste Sprosse ihrer sozialen Leiter; deshalb blickte jeder auf mich herab.
»Der nächste aufgeblasene Windbeutel, der sich über mich lustig macht, bekommt einen Schlag ins Gesicht«, verkündete ich finster,
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