Belgarath der Zauberer
ihren Kleidern anhaftete, aber ihr Gesicht sehe ich nicht mehr vor mir. Ist das nicht seltsam?
Nach ihrem Tod zogen die Leute aus Gara mich groß. Meinen Vater hatte ich nie kennengelernt, und auch an andere Verwandte erinnere ich mich nicht. Die Dorfbewohner gaben mir zu essen, schenkten mir ihre abgelegten Kleider und ließen mich in ihren Schuppen schlafen. Sie nannten mich Garath, was in unserem Dialekt soviel bedeutete wie ›aus dem Dorf Gara‹. Das mag mein richtiger Name gewesen sein oder auch nicht Ich weiß nicht mehr, welchen Namen meine Mutter mir gegeben hatte, aber ich finde, das spielt keine Rolle. Für einen Waisen im Ort war Garath ein angemessener Name, und mein Rang in der Gemeinschaft war eher niedrig.
Unser Dorf lag etwa dort wo die Stammländer der Tolnedrer, der Nyissaner und der Marager zusammentrafen. Ich vermute, daß wir alle derselben Rasse abstammten, bin mir aber nicht sicher. Ich kann mich nur an einen Tempel erinnern – falls man ihn überhaupt so nennen kann –, und das scheint darauf hinzuweisen, daß wir denselben Gott anbeteten und somit gleicher Abstammung waren. Ich kümmerte mich damals nicht viel um Religion; deshalb weiß ich auch nicht, ob der Tempel Nedra, Mara oder Issa zu Ehren errichtet worden war. Das Land der Arender lag irgendwo im Norden; somit wäre es sogar möglich, daß unsere windschiefe kleine Kirche ein Schrein Chaldans gewesen war. Ich bin mir sicher, daß wir nicht Torak oder Belar anbeteten. Einen dieser beiden hätte ich wahrscheinlich nicht vergessen.
Schon als ich ein Kind war, erwartete man von mir, daß ich meinen Lebensunterhalt selbst bestritt; die Dorfbewohner waren nicht gewillt mir ein Leben in luxuriösem Nichtstun zu ermöglichen. Sie ließen mich die Kühe hüten – was ich nicht besonders gut konnte, wenn ihr die Wahrheit wissen wollt. Unsere Kühe waren kümmerlich, aber gefügig; deshalb verliefen sich nicht zu viele, während ich sie hütete, und meistens kamen die Ausreißer am Abend zum Melken wieder zurück. Alles in allem war der Beruf des Kuhhirten eine angenehme Aufgabe für einen Jungen, der von ehrlicher Arbeit nicht allzuviel hielt.
Alles, was ich damals besaß, waren die Kleider, die ich am Leibe trug, aber ich lernte rasch, wie ich mir das Nötigste beschaffen konnte. Schlösser waren noch nicht erfunden, und so war es mir ein leichtes, die Hütten meiner Nachbarn zu durchsuchen, wenn sie auf den Feldern arbeiteten. Meist stahl ich Nahrungsmittel; aber auch einige andere kleine Gegenstände fanden gelegentlich den Weg in meine Tasche. Unglücklicherweise war ich der erste Verdächtige, wenn etwas abhanden gekommen war. Waisen hatten damals keinen besonders guten Ruf; was mich anging, sicher nicht ganz zu Unrecht. Wie dem auch sei, auf jeden Fall verschlechterte sich mein Ruf im Laufe der Jahre, und die anderen Kinder wurden von ihren Eltern angewiesen, mich zu meiden. Meine Nachbarn betrachteten mich als faul und unzuverlässig; außerdem nannten sie mich einen Lügner und einen Dieb – oft sagten sie mir das direkt ins Gesicht! Ich werde mich nicht damit aufhalten, diese Vorwürfe abzustreiten, aber es ist nicht gerade nett, derart verdächtigt zu werden, oder? Die Leute ließen mich nicht aus den Augen und machten mir klar, daß ich tagsüber im Ort nichts zu suchen hätte. Ich ignorierte diese kleinlichen Einschränkungen weitgehend, und bald machte es mir sogar Spaß, heimlich nach Essen oder irgendwelchen Dingen zu suchen. Ich betrachtete mich mit der Zeit als ziemlich ausgekochten Burschen.
Ich war etwa dreizehn Jahre alt, als ich mich für Mädchen zu interessieren begann. Das machte meine Nachbarn nun wirklich nervös, haftete mir doch ein gewisser Ruf von Anrüchigkeit an, und junge Leute sind oft leicht zu beeindrucken und finden derlei äußerst anziehend. Wie ich schon sagte, erwachte mein Interesse an Mädchen, und die Mädchen interessierten sich auch fiir mich. Eins führte zum anderen, und an einem bewölkten Frühlingsmorgen erwischte mich einer der Ältesten mit seiner jüngsten Tochter in seinem Heuschober. Ich will hier geschwind noch versichern, daß wirklich nichts geschehen ist Na ja, ein paar harmlose Küsse vielleicht, aber nichts Ernsteres. Der Vater des Mädchens jedoch dachte sogleich an das Schlimmste, und ich bezog die Prügel meines Lebens.
Schließlich gelang es mir, ihm zu entkommen. Ich rannte aus dem Dorf, watete durch den Fluß, erklomm den Hügel auf der anderen Seite und setzte mich
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