Belgarath der Zauberer
Baumriesen ragten in den Himmel, und auf dem Waldboden, unter dem grünen Baldachin aus Blättern, wuchs kein Unterholz, nur üppiges, grünes Moos. Mir schien, als sei der Wald verzaubert, und als ich mir sicher war, daß mich nun niemand mehr verfolgte, vergaß ich meine Eile, und ich bummelte -schlenderte, wenn ihr wollt – in Richtung Süden, ohne großen Zeitdruck, abgesehen von dem nun eher schwachen Verlangen, irgendwohin zu gehen. Aber glaubt mir, ich hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, wohin.
Und dann öffnete sich das Land. Eine Art Tal grenzte an den Wald, eine grasbewachsene Mulde, in der vereinzelt hübsche Baumgruppen wuchsen und Gestrüppe aus üppig wuchernden Beerensträuchern, die um tiefe, kalte Quellen standen, deren Wasser so klar war, daß ich in drei Metern Tiefe Forellen sehen konnte. Furchtlos äugten die Fische zu mir empor, als ich mich an den Rand eines der Teiche kniete, um Wasser zu trinken.
Rehe, friedlich und gelassen wie Schafe, ästen das satte Grün und blickten mich mit großen Augen an, als ich an ihnen vorbeiging.
Verwirrt zog ich dahin und war zufriedener als je zuvor. Die weit entfernte Stimme der Vernunft flüsterte mir zu, daß mein Vorrat an Nahrungsmitteln nicht ewig reichen würde, doch er schien gar nicht zu schrumpfen – vielleicht lag es daran, daß ich mir mit Beeren und anderen, mir fremden Früchten den Bauch vollschlug.
Ich verweilte lange in diesem verzauberten Tal. Eines Tages schließlich gelangte ich in seine Mitte, wo ein Baum wuchs, der so riesig war, daß mir schwindelte, wenn ich nur nach dem Wipfel Ausschau hielt.
Ich will hier nicht vorgeben, ein Gärtner zu sein, doch ich habe die Welt sehr oft durchstreift, und einen zweiten Baum wie diesen fand ich nirgendwo. Und dann machte ich womöglich einen Fehler, denn ich legte meine Hand auf die rauhe Borke. Ich fragte mich oft, was wohl geschehen wäre, hätte ich es nicht getan.
Der Friede, der über mich kam, war unbeschreiblich. Meine etwas prosaische Tochter wird meine Verwirrung wohl als eine mir innewohnende Faulheit abtun, aber in diesem Punkt würde sie sich irren. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort saß, vertieft im Zwiegespräch mit diesem uralten Baum. Mir ist klar, daß ich auf irgendeine Weise genährt wurde, denn Stunden, Tage, ja Monate zogen unbeachtet vorüber, und ich kann mich nicht entsinnen, getrunken, gegessen oder geschlafen zu haben. Und dann wurde es kalt. Über Nacht fiel der erste Schnee. Der Winter war an mich herangeschlichen, lautlos wie der Tod.
Ich überlegte flüchtig, ob ich zum Lager der alten Leute zurückkehren sollte, um mich noch einen Winter lang verwöhnen zu lassen, falls mir nichts anderes einfiel, doch es war offensichtlich, daß ich zuviel Zeit im hypnotisierenden Schatten dieses dummen Baumes zugebracht hatte.
Dann häufte sich der Schnee so sehr auf, daß ich kaum mehr hindurchstapfen konnte. Meine Nahrungsmittel waren fort, meine Schuhe abgelaufen; ich verlor mein Messer, und es wurde kälter und kälter.
Schließlich war ich durchgeweicht bis auf die Haut, und Eis bildete sich in meinen Haaren. Zitternd kauerte ich mich hinter einen Steinhaufen, der mitten ins Herz des Schneesturmes zu ragen schien, der um mich tobte, und bereitete mich auf den Tod vor. Ich dachte an das Dorf Gara und die Wiesen, die es umgaben, und den glitzernden Fluß und an meine Mutter, und dann – weil ich noch immer sehr jung war – weinte ich.
»Warum weinst du, Junge?« Die Stimme klang sehr sanft. Der Schnee wirbelte so dicht, daß ich nicht erkennen konnte, wer da sprach, doch der Tonfall ärgerte mich aus irgendeinem Grund Hatte ich denn nicht Anlaß genug, Tränen zu vergießen?
»Ich weine, weil ich hungrig bin«, erwiderte ich, »und weil ich sterben werde, obwohl ich gar nicht will.«
»Warum stirbst du? Bist du verletzt?«
»Ich habe mich verlaufen«, sagte ich ein wenig schroff. »Es schneit, und ich weiß nicht, wohin ich soll.« War er denn blind?
»Stirbt man denn so leicht wenn man von deiner Art ist? Und wie lange glaubst du, daß dein Sterben dauert?« Die Stimme klang nicht besonders neugierig.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte ich voller Selbstmitleid. »Ich hab’s noch nie zuvor getan.«
Der Wind heulte, und der Schnee wirbelte noch dichter um mich.
»Junge«, sagte die Stimme schließlich, »komm herzu mir.«
»Wo seid Ihr? Ich kann Euch nicht sehen.«
»Geh links um den Turm herum. Kannst du deine linke Hand von deiner rechten
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