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Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Dolan
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Sie wirklich –? Nein, keine Waffen. Ich muss jetzt los. Ich fahre zur Hütte.«
    »Das ist gut«, sagte Elizabeth. »Wir sind in ein paar Minuten da.«
    Als ich das Handy zuklappte, dachte ich über die Waffen nach und spürte, wie mich ein Angstschauer durchlief. Nick hatte gesehen, wie ich mit einer Kugel herumgespielt hatte. Wo eine Kugel ist, ist auch eine Waffe. Konnte es sein, dass Nick den Revolver aus unserem Handschuhfach entwendet hatte, während wir bei Tillman im Haus saßen?
    Ich klappte das Handschuhfach auf, öffnete den Reißverschluss des Stofftäschchens und entdeckte den Revolverlauf.
    »Er ist immer noch da«, sagte ich halb zu mir selbst. »Ich hatte schon befürchtet, dass er ihn genommen hat.«
    Elizabeth hob eine Hand vom Lenkrad und strich sich durchs Haar.
    »Du hast Tillmans Pistole vergessen«, sagte sie.

57
    Die Scheinwerfer des Pick-ups leuchteten in das Dunkel zwischen den Bäumen. Licht flackerte über den ungepflasterten Weg, und die Reifen sprengten hier und dort Steinchen ins Unterholz. Nick Dawtrey hatte zum Fahren den Sitz vorgeschoben. Sam Tillmans Pistolengurt lag auf dem Beifahrersitz neben ihm, die Neun-Millimeter steckte im Halfter.
    Er hatte kehrtgemacht und Tillmans Haus leer vorgefunden. Er hatte ein Fenster eingeschmissen, um hineinzugelangen, genau wie bei Delacorte.
    An manchen Stellen war der Weg so schmal, dass Äste an der Seite des Pick-ups entlangschabten. Nick mochte das Rascheln der Blätter. Es erinnerte ihn an Touren, die er mit seinem Vater zusammen unternommen hatte.
    Er schaltete die Scheinwerfer ein gutes Stück bevor er die Hütte erreichte aus und nahm gleichzeitig den Fuß vom Gas. Der Pick-up kam zum Halt. Er stellte den Motor ab und gab seinen Augen Zeit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, bevor er ausstieg. Er ließ den Gurt und den Halfter auf dem Sitz liegen, nahm die Pistole mit.
    Sein Vater hatte immer einen Ersatzschlüssel unter einem Blumenkübel auf der Veranda liegen gehabt. Nick fand ihn und schloss die Tür auf. Dann öffnete er sie, langsam und behutsam, damit sie nicht in den Angeln quietschte. Drinnen brannte eine einzelne Lampe. Sie verbreitete ausreichend Licht, um ihm zu zeigen, dass John Casterbridge auf dem Sofa lag. Er war in seinen Kleidern eingeschlafen und schnarchte leise.
    Auf dem Boden neben dem Sofa lagen Spielkarten, in Reihen ausgelegt – ein Partie Patience. Nick kniete sich hin, legte die Pistole auf den Teppich und sammelte die Karten ein. Es gefiel ihm nicht, dass Casterbridge damit gespielt hatte, denn sie gehörten seinem Vater. Und weil er immer mit Terry Karten gespielt hatte.
    Nick hatte seinen Bruder kennengelernt, als er fünf Jahre alt gewesen war, im Besucherzimmer des Gefängnisses. Er hatte damals große Angst gehabt, zumindest hatte sein Vater ihm das später erzählt. Er hatte vielleicht vor all den Leuten und dem Lärm Angst gehabt, aber nicht vor Terry, der ein freundliches Lachen hatte und der von ihm alles über seine Freunde und die Schule hatte hören wollen.
    Er erinnerte sich an andere Besuche. Daran, wie Terry Witze erzählt hatte. Warum tragen Kühe Glocken? Weil ihre Euter nicht klingeln. Manchmal spielten sie Dame. Manchmal hatte Terry auch ein Kartenspiel dabei. Zu dritt saßen sie an einem weißen Plastiktisch – Nick und sein Vater auf der einen Seite, Terry auf der anderen – und spielten.
    Es dauerte eine Weile, bis Nick begriff, dass Terry ein Gefangener war und was das genau bedeutete. »Kann Terry nicht mitkommen?«, hatte Nick einmal beim Abschied gefragt. »Diesmal nicht, Kleiner«, hatte Terry geantwortet. Und auf dem Nachhauseweg hatte Nick seinen Vater nach dem Grund gefragt.
    »Er kann nicht. Sie lassen ihn nicht raus.«
    »Warum denn nicht?«, hatte Nick gefragt.
    »Er hat was Schlechtes getan, und nun muss er dableiben.«
    »Kann er sich denn nicht dafür entschuldigen?«
    »Manchmal ist eine Entschuldigung nicht genug.«
    Sein Vater hatte sehr traurig geklungen, und Nick war nie wieder darauf zu sprechen gekommen. Aber von da an waren ihm die grauen Wände des Besucherzimmers aufgefallen, die Wärter, die seinen Bruder nicht herausließen. Als er sich das nächste Mal von Terry verabschiedete, beugte er sich zu ihm vor und flüsterte: »Eines Tages hole ich dich hier raus.«
    Terry lächelte und nickte. »Das glaub ich dir, Kleiner.«

    Nick ordnete die Karten und steckte sie in die Tasche. Er hob die Pistole vom Teppich auf und verschob den kleinen Hebel an der Seite.

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