Bella und Edward, Band 4: Biss zum Ende der Nacht
als auch in der Aussprache, doch sie machte sich kaum je die Mühe zu sprechen; sie zeigte uns lieber, was sie wollte. Sie konnte nicht nur gehen, sondern auch rennen und tanzen. Sogar lesen konnte sie schon.
Eines Abends hatte ich ihr Tennyson vorgelesen, weil Klang und Rhythmus seiner Gedichte etwas Beruhigendes hatten. (Ich musste andauernd etwas Neues suchen; Renesmee bekam nicht gern dasselbe zweimal vorgelesen, wie es bei anderen Kindern angeblich der Fall war, und für Bilderbücher fehlte ihr die Geduld.) Sie fasste mir an die Wange, das Bild in ihrem Kopf zeigte uns beide, nur dass sie das Buch hielt. Lächelnd gab ich es ihr.
»Hier ist Musik«, las sie, ohne zu stocken, »die lieblich ist und weicher fällt als windverwehte Rosenblätter auf das Gras oder als Tau der Nacht auf stilles Wasser, das sich hält in Schatten zwischen Granitwänden auf schimmerndem Pass â¦Â«
Mit eckigen Bewegungen nahm ich ihr das Buch wieder ab.
»Wenn du liest, wie willst du dann einschlafen?«, sagte ich und konnte nur mit Mühe ein Zittern in der Stimme unterdrücken.
Nach Carlisles Berechnungen verlangsamte sich ihr Körperwachstum allmählich, doch ihr Verstand spurtete weiter. Selbst mit diesem verlangsamten Wachstum war sie in weniger als vier Jahren erwachsen.
Vier Jahre. Und in fünfzehn Jahren war sie eine alte Frau.
Nur fünfzehn Jahre leben.
Doch sie war kerngesund. Lebendig, aufgeweckt, strahlend und fröhlich. Es ging ihr so gut, dass es mir leichtfiel, nur den Augenblick mit ihr zu genieÃen und die Gedanken an die Zukunft zu verdrängen.
Carlisle und Edward besprachen die Zukunftsperspektiven leise aus allen möglichen Blickwinkeln, und ich versuchte nicht hinzuhören. Nur wenn Jacob dabei war, redeten sie nicht darüber, denn es gab ja eine sichere Möglichkeit, das Ãlterwerden zu stoppen, aber davon wäre Jacob ganz bestimmt nicht begeistert. Ich auch nicht. Viel zu gefährlich! , schrien meine Instinkte. Jacob und Renesmee schienen sich in so vielerlei Hinsicht ähnlich zu sein, beide Halbwesen, beide von zweierlei Art. Und alle Werwolflegenden behaupteten, Vampirgift sei der sichere Tod, nicht der Weg zur Unsterblichkeit â¦
Carlisle und Edward hatten alles erforscht, was es aus der Ferne zu erforschen gab, und stellten sich jetzt darauf ein, die alten Legenden am Ort ihres Entstehens zu untersuchen. Unser Ausgangspunkt sollte Brasilien sein. Die Ticunas hatten Legenden über Kinder wie Renesmee ⦠Wenn es je andere Wesen wie sie gegeben hatte, dann fanden wir dort vielleicht auch etwas über die Lebensdauer halbsterblicher Kinder â¦
Die einzige Frage war, wann wir aufbrechen sollten.
Ich war der Hemmschuh. Zu einem kleinen Teil deshalb, weil ich wegen Charlie bis nach den Ferien in der Nähe von Forks bleiben wollte. Aber vor allem war da eine andere Reise, die vorher stattfinden musste â so lagen die Prioritäten nun einmal. Und es war eine Reise, auf die ich allein gehen musste.
Das war der einzige Streit, den Edward und ich gehabt hatten, seit ich ein Vampir war. Die Auseinandersetzung drehte sich hauptsächlich um das »allein«. Aber es war, wie es war, und meinPlan war der einzig vernünftige. Ich musste zu den Volturi, und ich musste ganz allein dorthin.
Obwohl ich von den alten Albträumen befreit war, von Träumen überhaupt, war es unmöglich, die Volturi zu vergessen. Und sie versäumten es auch nicht, unserem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.
Bis zu dem Tag, an dem Aros Geschenk kam, hatte ich nicht gewusst, dass Alice den Volturi eine Heiratsanzeige geschickt hatte. Wir waren weit weg auf Esmes Insel, als sie plötzlich eine Vision von Volturi-Kriegern hatte, darunter Jane und Alec, die zerstörerischen, furchtbaren Zwillinge. Caius hatte vor, eine Jagdgesellschaft auszusenden, um zu sehen, ob ich entgegen ihrem Erlass immer noch ein Mensch war (da ich über die geheime Welt der Vampire Bescheid wusste, musste ich mich ihr entweder anschlieÃen oder zum Schweigen gebracht werden ⦠für immer). Deshalb hatte Alice ihnen die Heiratsanzeige geschickt, denn sie sah, dass sie ihr Vorhaben verschieben würden, wenn sie die richtigen Schlüsse zogen. Aber letztlich würden sie kommen. Das stand auÃer Zweifel.
Das Geschenk selbst war auf den ersten Blick nicht bedrohlich. Extravagant, ja, und in seiner Extravaganz beinahe
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