Belladonna
für Grant County auch deswegen
angenommen, weil sie sich bei der Arbeit in der Klinik zu langweilen begann. Die Arbeit als Coroner bot eine
Herausforderung, die Gelegenheit, neue Fähigkeiten zu erwerben und Mensche n zu helfen. Doch der Gedanke, Julia Matthews aufschneiden zu müssen und so ihren Körper noch mehr zu misshandeln, versetzte Sara einen Stich ins Herz.
Wieder betrachtete Sara das, was von Julia Matthews' Kopf geblieben war. Die Wirkung von Kopfschüssen war kaum je vorherzusehen. Meistens versanken die Opfer im Koma und vegetierten dann dank der Wunder moderner Wissenschaft den Rest ihres Lebens dahin. Julia Matthews hatte ihre Sache besser gemacht als die meisten Selbstmörder, als sie die Waffe unter dem Kinn ansetzte und dann den Abzug drückte. Das Geschoss war auf einer nach oben gerichteten Bahn in ihren Schädel eingetreten, hatte das Keilbein zerbrochen, war an der lateralen zerebralen Spalte entlanggepflügt und dann durch das Hinterhauptbein ausgetreten. Der Hinterkopf war weggesprengt, sodass man direkt in den Hirnkasten sehen konnte. Anders als bei ihrem früheren Selbstmordversuch, von dem die Narben an
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ihren Handgelenken Zeugnis ablegten, war Julia Matthews diesmal fest entschlossen gewesen, ihr Leben zu beenden.
Fraglos hatte die junge Frau sehr genau gewusst, was sie tat.
Sara war flau im Magen. Am liebsten hätte sie die junge Frau ins Leben zurück geschüttelt, von ihr verlangt weiterzuleben, sie gefragt, wie sie all das hatte durchstehen können, was ihr in den vergangenen Tagen geschehen war, nur um sich dann das Leben zu nehmen. Es schien so, als hätten die Gräuel, die Julia Matthews überlebt hatte, sie am Ende auch umgebracht.
«Alles okay mit dir?», fragte Jeffrey. Er sah sie besorgt an.
«Ja», bekam Sara mit Mühe heraus. Sie fragte sich, ob es stimmte. Sie hatte das Gefühl, wie eine offene Wunde zu sein, die nicht verschorfen wollte. Sara wusste, wenn Jeffrey jetzt einen Annäherungsversuch machte, würde sie darauf eingehen.
Sie konnte an nichts and eres denken als daran, wie gut es tun würde, sich von ihm in die Arme nehmen zu lassen, seine Lippen auf den ihren zu spüren, seine Zunge in ihrem Mund. Ihr Körper verlangte schmerzlich nach ihm, wie es sie seit Jahren nicht mehr nach ihm verlangt hatte. Es war nicht Sex, was sie sich wünschte, sie brauchte einfach nur die Bestätigung, dass er da war. Sie wollte sich beschützt fühlen. Sie wollte zu ihm gehören. Sara hatte vor langer Zeit erfahren, dass Jeffrey keine andere Möglichkeit kannte, als ihr durch Sex diese Gefühle zu vermitteln.
Von der anderen Seite des Tisches fragte Jeffrey: «Sara?»
Sie öffnete den Mund und wollte ihm schon einen
entsprechenden Antrag machen, aber hielt sich dann doch zurück. So viel war in den vergangenen paar Jahren geschehen.
So viel hatte sich verändert. Der Mann, den sie wollte, existierte eigentlich gar nicht mehr. Sara war nicht einmal davon überzeugt, dass es ihn je gegeben hatte.
Sie räusperte sich. «Ja?»
«Möchtest du das hier aufschieben?», fragte er.
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«Nein», antwortete Sara schroff. Insgeheim schalt sie sich für den Gedanken, Jeffrey zu brauchen. In Wahrheit tat sie es nämlich nicht. Sie war ohne ihn so weit gekommen, und ganz gewiss konnte sie auch noch weiter kommen.
Sie tippte mit dem Fuß auf die Fernbedienung des
Diktiergeräts und sagte: «Vor mir liegt die nicht balsamierte Leiche einer dünnen, aber gut gebauten und gut ernährten jungen erwachsenen weißen Frau mit einem Gewicht von» -
Sara blickte über Jeffreys Schulter zur Tafel, auf der sie einige Notizen gemacht hatte - «einhundertundzwölf Pfund und einer Größe von einem Meter zweiundsechzig.» Sie stellte das Aufnahmegerät ab und atmete tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie bekam nur schwer Luft.
«Sara?»
Sie schaltete das Gerät wieder an und wand te sich
kopfschüttelnd Jeffrey zu. Dass sie sich noch vor ein paar Minuten Mitgefühl von ihm gewünscht hatte, bereitete ihr jetzt Unbehagen. Es kam ihr vor, als hätte sie sich eine Blöße gegeben.
Sie diktierte: «Das Erscheinungsbild der Verstorbenen entspricht dem angegebenen Alter von zweiundzwanzig. Die Leiche ist für einen Zeitraum von nicht weniger als drei Stunden gekühlt worden und fühlt sich noch immer kalt an.» Sara hielt inne und räusperte sich wieder. «Totenstarre ist in den oberen und unteren Ext remitäten eingetreten, und Totenflecke sind auf der hinteren Seite
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