Belladonna
denn sie wusste, dass sie bereits zu weit gegangen war. Dennoch war ein leiser Seufzer von Tessa zu hören, als diese die richtige Schlussfolgerung zog. Sie hatte die ganze Zeit Sara nicht aus den Augen gelassen, und das Entsetzen in ihrem Gesicht ließ Sara vor Schuldgefühl erbeben.
Sie flüsterte: «Es tut mir Leid, Tessie. Es tut mir ja so Leid.»
Tessa ließ langsam die Hand vom Mund sinken und sagte:
«Jeffrey ist doch Polizist.»
Sara legte ihr die Hand auf die Brust. «Das weiß ich.»
«Du bist so schön», sagte Tessa. «Und du bist klug und du bist witzig und du bist groß.»
Sara lachte, um nur nicht zu weinen.
«Um diese Zeit vor zwölf Jahren wurdest du vergewaltigt»,
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schloss Tessa.
«Auch das weiß ich.»
«Jedes Jahr schickt er dir Postkarten, Sara. Er weiß, wo du wohnst.»
«Das weiß ich.»
«Sara», ein Flehen lag in Tessas Stimme. «Du musst es Jeffrey sagen.»
«Das kann ich nicht.»
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FREITAG
ACHTZEHN
Jeffrey schlüpfte in ein Paar Unterhosen und humpelte in Richtung Küche. Sein Knie war noch immer steif durch die Schrotkugeln, und sein Magen revoltierte, seit er Julia Matthews' Zimmer betreten hatte. Er machte sich Sorgen um Lena. Er machte sich Sorgen um Sara. Er machte sich Sorgen um seine Stadt.
Vor wenigen Stunden hatte Brad Stephens die DNS-Probe nach Macon gebracht. Es würde mindestens eine Woche dauern, bis ein Ergebnis vorlag, und vielleicht eine weitere Woche, bis man Zugang zur DNS-Datenbank des FBI bekam und nach Übereinstimmungen mit den Proben polizeibekannter
Sexualstraftäter suchen konnte. Wie fast immer handelte es sich auch hier um eine Geduldsprobe. Was der Täter in der Zwischenzeit vorhatte, war nach solchen Untersuchungen unmöglich zu sagen. Jeffrey wusste nur, dass er in ebendiesem Moment seinem nächsten Opfer auflauern konnte, es vielleicht gerade vergewaltigte und ihm Dinge antat, die jedes menschliche Vorstellungsvermögen übertrafen.
Jeffrey öffnete den Kühlschrank und nahm die Milch heraus.
Auf dem Weg, sich ein Glas zu holen, drückte er den Schalter fürs Oberlicht, aber nichts geschah. Er fluchte vor sich hin, als er ein Glas aus dem Schrank nahm. Er hatte das Licht in der Küche vor ein paar Wochen abgestellt, als eine neue Lampe, die er bestellt hatte, per Post geliefert wurde. Man hatte ihn von der Wache aus angerufen, als er die Drähte isolierte. Die Lampe lag
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noch immer auf dem Karton und wartete darauf, dass Jeffrey die Zeit fand, sie aufzuhängen. Wenn es so weiterging, würde Jeffrey noch die nächsten Jahre beim Licht seines Kühlschranks essen.
Er trank die Milch aus und humpelte zum Waschbecken, um das Glas auszuspülen. Am liebsten hätte er Sara angerufe n, um sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen, aber er unterließ es lieber. Sie hatte ihre eigenen Gründe, sich vor ihm abzukapseln. Und er hatte seit der Scheidung kein Anrecht mehr, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen. Vielleicht war sie ja heute Abend mit Jeb zusammen. Er hatte von Maria, die wiederum mit Marty Ringo gesprochen hatte, erfahren, dass Sara und Jeb sich wieder trafen. Undeutlich erinnerte er sich, dass Sara neulich im Krankenhaus etwas von einer Verabredung gesagt hatte, aber den gena uen Wortlaut bekam er nicht mehr zusammen. Und da er sich daran erst erinnert hatte, nachdem Maria es für nötig hielt, den Klatsch weiterzutratschen, war kein Verlass auf diese Erinnerung.
Jeffrey stöhnte, als er sich auf den Barhocker vor den Küchentresen setzte. Vor Monaten hatte er den Tresen gebaut.
Er hatte ihn sogar zweimal gebaut, denn beim ersten Mal war er nicht damit zufrieden gewesen. Jeffrey war Perfektionist und hasste es, wenn etwas nicht symmetrisch war. Er wohnte in einem alten Haus, und da gab es ständig etwas zu richten. Keine Wand im Haus war gerade.
Eine sanfte Brise bewegte die dicken Plastikbahnen an der Rückseite der Küche. Er schwankte zwischen Terrassentüren und einer Fensterfront über die gesamte Wand und der Überlegung, die Küche ungefähr drei Meter in den rückwärtigen Garten hinaus zu erweitern. Eine Frühstücksecke wäre schön, in der man morgens sitzen und die Vögel hinten im Garten beobachten konnte. Unbedingt wollte er eine große Terrasse mit einem Hot Tub und vielleicht einem modernen Außengrill.
Wozu auch immer er sich entschied, wichtig war ihm, dass das
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Haus offen blieb. Jeffrey gefiel es, wie das Tageslicht durch die halb durchsichtigen Plastikbahnen hereinfiel, und er mochte
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