Belladonna
morgendlicher Übelkeit nannte ihre Ärztin dann die Diagnose: Angela war schwanger.
Im Laufe der Schwangerschaft wurde Angela immer
verzagter. Eine wirklich glückliche Frau war sie ohnehin nie gewesen. Das Leben in Reece war nicht leicht, und die Norton-Familie hatte ihre Erfahrung mit schwierigen Zeiten. Hank Norton war berüchtigt wegen seines Jähzorns und galt als einer jener gewalttätigen Trunkenbolde, denen man besser nicht in einer dunklen Gasse begegnete. Unter der Obhut ihres älteren Bruders hatte Angela gelernt, sich lieber aus allen Streitigkeiten herauszuhalten. Zwei Wochen nachdem sie Zwillingsmädchen zur Welt gebracht hatte, erlag Angela Adams einer
Infektionskrankheit. Sie war gerade vierundzwanzig Jahre alt.
Hank Norton war als einziger Verwandter bereit, ihre beiden Mädchen bei sich aufzunehmen.
Wenn man Hanks Erzählungen Glauben schenkte, hatten Sibyl und Lena sein Leben völlig umgekrempelt. An dem Tag,
-65-
als er sie in sein Haus brachte, hatte er aufgehört, Raubbau mit seinem Körper zu treiben. Er behauptete, allein durch ihre Existenz Gott gefunden zu haben, und sagte heute noch, er könne sich bis in alle Einzelheiten daran erinnern, wie es gewesen war, Lena und Sibyl zum ersten Mal im Arm zu halten.
In Wahrheit hatte Hank nur aufgehört, sich Speed zu spritzen, als die Mädchen zu ihm kamen. Mit dem Trinken hörte er erst sehr viel später auf. Als das geschah, waren die Mädchen acht.
Ein schlechter Tag auf der Arbeit hatte Hank veranlasst, sich voll laufen zu lassen. Als er keinen Schnaps mehr hatte, beschloss er, zum Spirituosenladen nicht zu Fuß zu gehen, sondern das Auto zu nehmen. Er kam nicht mal hinaus auf die Straße. Sibyl und Lena spielten im Vorgarten Ball. Lena wusste immer noch nicht, was Sibyl sich dabei gedacht hatte, bis in die Auffahrt hinter dem Ball herzulaufen. Der Wagen hatte sie von der Seite erwischt. Die Stoßstange hatte sie mit voller Wucht an der Schläfe getroffen, als sie sich bückte, um den Ball aufzuheben.
Die Behörden des County waren eingeschaltet worden, aber die Untersuchung verlief im Sande. Von Reece aus brauchte man mit dem Auto vierzig Minuten zum nächsten Krankenhaus.
Hank hatte genügend Zeit, nüchtern zu werden und eine glaubwürdige Geschichte zu erfinden. Lena konnte sich noch daran erinnern, wie sie mit ihm im Wagen gesessen und beobachtet hatte, wie seine Lippen sich bewegten, als er sich die Geschichte ausdachte. Zu jener Zeit war die achtjährige Lena nicht ganz sicher, was überhaupt passiert war, und als sie bei der Polizei befragt wurde, hatte sie Hanks Geschichte bestätigt.
Noch immer träumte Lena ab und zu von dem Unfall, und in diesen Träumen prallte Sibyls Körper kaum anders als der Ball auf den Boden. Dass Hank angeblich seither keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken hatte, war für Lena ohne jede Bedeutung. Der Schaden war angerichtet.
Sie machte noch eine Flasche Bier auf und nahm dabei beide
-66-
Hände vom Lenkrad, um den Schraubverschluss abzudrehen.
Sie nahm einen großen Schluck und verzog das Gesicht wege n des Geschmacks. Alkohol hatte sie noch nie gereizt. Lena hasste es, sich nicht unter Kontrolle zu haben, hasste den betrunkenen Zustand und die Benommenheit. Sich zu betrinken war etwas für schwache Menschen, eine Krücke für diejenigen, die nicht genügend Kraft besaßen, ihr eigenes Leben zu leben, auf den eigenen Füßen zu stehen. Sich zu betrinken hieß, vor etwas davonzulaufen. Lena nahm noch einen Schluck Bier und dachte, eben jetzt sei genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Der Celica brach aus, als sie zu schnell in die Ausfahrt abbog.
Lena lenkte mit einer Hand gegen und hielt die Bierflasche fest in der anderen. Eine scharfe Rechtskurve brachte sie zum «Stop
'n' Save» von Reece. Das Innere des Ladens war dunkel. Wie die meisten Geschäfte in der Stadt schloss auch die Tankstelle um 22 Uhr. Aber wenn sie die Erinnerung nicht täuschte, musste man nur um das Gebäude herumgehen, um auf eine Gruppe von Teenagern zu stoßen, die Alkohol tranken, Zigaretten rauchten und auch sonst alle jene Dinge taten, von denen ihre Eltern nichts wissen wollten. Lena und Sibyl waren an so manchem dunklen Abend hierher spaziert, nachdem sie sich unter Hanks nicht sonderlich wachsamen Augen davongeschlichen hatten.
Lena sammelte die leeren Flaschen zusammen und stieg aus dem Wagen. Sie stolperte, weil ihr Fuß an der Tür hängen blieb.
Eine Flasche rutschte ihr aus der Hand und zerbrach auf dem
Weitere Kostenlose Bücher