Belladonna
schon gehört.»
Nan machte eine Kehrtwendung, ging ins Haus zurück und ließ die Tür für Lena offen. Die beiden Frauen waren noch nie gut miteinander ausgekommen. Wäre Nan Thomas nicht Sibyls Geliebte gewesen, hätte Lena wohl kaum je ein Wort mit ihr gewechselt.
Das Haus war ein Bungalow aus den zwanziger Jahren. Die ursprüngliche Architektur war größtenteils erhalten, von den Holzfußböden bis zu den schlichten Türfüllungen. Die Vordertür führte in einen großen Wohnraum mit einem Kamin auf der einen Seite und dem Esszimmer auf der anderen, von wo die Küche abging. Zwei kleine Schlafzimmer und ein Bad vervollständigten den einfachen Grundriss.
Lena ging zielstrebig den Flur entlang. Sie öffnete die erste Tür zu ihrer Rechten und betrat das Schlafzimmer, das Sibyl sich als Arbeitsraum eingerichtet hatte. Alles war penibel aufgeräumt, in erster Linie wohl aus reiner Notwendigkeit. Da Sibyl blind war, mussten sich alle Dinge stets an ihrem Platz befinden, damit sie sie auch finden konnte. Bücher in Braille
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waren auf Regalen gestapelt. Zeitschriften, ebenfalls in Blindenschrift, lagen ausgebreitet auf dem Couchtisch vor einem alten Futon. Auf einem Schreibtisch auf der
gegenüberliegenden Seite stand ein Computer. Lena scha ltete ihn ein, als Nan das Zimmer betrat.
«Was denken Sie sich eigentlich dabei?»
«Ich muss ihre persönlichen Dinge überprüfen.»
«Und wieso?», fragte Nan und trat an den Schreibtisch. Sie legte die Hand auf die Tastatur, als könnte sie Lena dadurch Einhalt gebieten.
«Ich muss prüfen, ob etwas Eigentümliches vorgefallen ist, ob jemand sie verfolgt hat.»
«Und wieso gerade hier?», fragte Nan. Sie nahm die Tastatur an sich. «Den Computer hat sie nur für ihre Arbeit benutzt. Sie könnten doch nicht einmal mit der Software zur
Spracherkennung umgehen.»
Lena griff sich die Tastatur. «Das krieg ich schon raus.»
«Nein, kriegen Sie nicht», widersprach Nan. «Das hier ist auch mein Haus.»
Lena stemmte die Hände in die Hüften und ging mitten ins Zimmer. Sie entdeckte eine n Stapel Papier neben einer alten Schreibmaschine für Blindenschrift. Sie nahm die Seiten zur Hand und wandte sich an Nan. «Was ist das hier?»
Nan kam herbeigerannt und entriss ihr die Seiten. «Das ist ihr Tagebuch.»
«Können Sie das lesen?»
«Das ist ihr persönliches Tagebuch», wiederholte Nan entsetzt. «Es enthält ihre ganz privaten Gedanken.»
Lena biss sich auf die Unterlippe und überlegte sich eine bessere Taktik. Dass sie Nan Thomas nie hatte leiden können, war in diesem Haus kein Geheimnis. «Sie können Braille lesen, nicht wahr?»
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«Etwas.»
«Sie müssen mir sagen, was hier steht, Nan. Jemand hat sie umgebracht.» Sie tippte auf die Seiten. «Vielleicht war jemand hinter ihr her. Vielleicht hatte sie vor etwas Angst und wollte es uns nicht sagen.»
Nan wandte sich ab, den Kopf zu den Seiten gebeugt. Sie fuhr mit dem Finger über die oberste Reihe der Punkte, aber Lena merkte, dass sie nicht wirklich las. Lena hatte den Eindruck, dass sie die Seiten nur berührte, weil Sibyl es auch getan hatte, und dadurch wohl ho ffte, etwas von Sibyl in sich aufzunehmen und nicht nur Wörter.
Nan sagte: «Montags ist sie immer essen gegangen, um mal etwas zu tun, bei dem sie ganz auf sich allein gestellt war.»
«Ich weiß.»
«Wir wollten uns heute Abend eigentlich Burritos machen.»
Nan legte den Stapel Papier vor den Schreibtisch. «Tun Sie, was Sie tun müssen», sagte sie. «Ich bin im Wohnzimmer.»
Lena wartete, bis sie gegangen war, und machte sich dann wieder an ihre Arbeit. Nan hatte mit dem Computer Recht gehabt. Lena wusste nicht, wie die Software funktionierte. Sibyl hatte das Gerät auch nur für die Arbeit am College benutzt.
Sibyl hatte in den Computer diktiert, was sie brauchte, und ihre Assistentin hatte dafür gesorgt, dass Kopien ausgedruckt wurden.
Das zweite Schlafzimmer war ein wenig größer als das erste.
Lena stand in der Türöffnung und ließ das säuberlich gemachte Bett auf sich wirken. Gemütlich eingepackt zwischen den Kissen lag Pu, der Teddybär. Pu war alt und stellenweise abgescheuert. In ihren Kindertagen war Sibyl nur höchst selten ohne Pu aufgetreten, und den Teddybären wegzuwerfen war ihnen wie eine Schandtat vorgekommen. Lena lehnte sich gegen den Türrahmen und sah vor ihrem geistigen Auge ein Bild von Sibyl als Kind. Sie stand da mit ihrem Teddybär Pu. Lena
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schloss die Augen und überließ sich der
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