Belladonna
nur den Ärzten vorbehalten waren. In der siebenten Klasse, als Sara Interesse an Naturwissenschaften bekundet hatte, war es Eddie gelungen, im College einen Biologieprofessor aufzutun, der dringend jemand für die Reparatur seiner Hauptwasserleitung brauchte. Als Entlohnung für die Klempnerarbeiten bekam Sara vom
Professor Förderunterricht. Zwei Jahre später brauchte ein Chemieprofessor neue Leitungen für sein gesamtes Haus, und schon durfte Sara zusammen mit College-Studenten
Experimente durchführen.
Das Licht ging an, und Sara blinzelte. Nelly öffnete die Tür, welche die Untersuchungszimmer vom Warteraum trennte.
«Guten Morgen, Doktor Linton», sagte Nelly, händigte Sara einen Stapel rosafarbener Mitteilungszettel aus und nahm ihr die Aktentasche ab. «Ich habe heute Morgen Ihre Nachricht über das Treffen im Polizeirevier bekommen. Ich habe Ihre Termine dementsprechend umgestellt. Es macht Ihnen doch nichts aus, ein wenig länger zu arbeiten?»
Sara schüttelte den Kopf und blätterte die Mitteilungen durch.
«Die Powells werden in ungefähr fünf Minuten hier sein, und auf Ihrem Schreibtisch liegt ein Fax.»
Sara hob den Blick, um sich zu bedanken, aber sie war schon weg, wahrscheinlich um mit Elliot Felteau Termine
abzusprechen. Sara hatte Elliot direkt vom Augusta Hospital weggeholt, wo er Assistenzarzt gewesen war. Er war erpicht
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darauf, so viel zu lernen, wie es ging, und sich irgendwann einmal als Teilhaber in die Praxis einzukaufen. Zwar war sich Sara nicht sicher, was sie davon halten sollte, einen Partner zu haben, aber andererseits wusste sie auch, dass er frühestens in zehn Jahren so weit sein könnte, ihr ein Angebot zu machen.
Molly Stoddard, Saras Krankenschwester, kam ihr im Flur entgegen: «Fünfundneunzig Prozent Lymphoblasten bei dem Powell-Jungen», zitierte sie die Laborergebnisse.
Sara nickte. «Sie müssen jeden Moment hier sein.»
Molly schenkte Sara ein Lächeln, mit dem sie andeuten wollte, dass sie Sara nicht um die Aufgabe beneidete, die sie vor sich hatte. Die Powells waren sehr nette Leute. Sie hatten sich vor zwei Jahren scheiden lassen, bewiesen aber überraschenden Zusammenhalt, wenn es um ihre Kinder ging.
Sara sagte: «Könnten Sie mir eine Telefonnummer
heraussuchen? Ich möchte sie zu einem Mann schicken, den ich am Emory kenne. Er hat einige sehr interessante
Therapieversuche bei AML im ersten Stadium unternommen.»
Sara nannte den Namen, als sie ihre Bürotür aufschob. Nelly hatte Saras Tasche an deren Stuhl gelehnt und eine Tasse Kaffee auf den Schreibtisch gestellt. Daneben lag das Fax, von dem sie gesprochen hatte. Es handelte sich um die Ergebnisse von Sibyl Adams' Blutbild, die vom Georgia Bureau of Investigation gekommen waren. Nick hatte ganz oben ein paar
entschuldigende Worte gekritzelt: Er sei fast den ganzen Tag über bei irgendwelchen Besprechungen, wisse aber, dass Sara die Ergebnisse so schnell wie möglich haben wolle. Sara las den Bericht zweimal und bekam dabei Magenkrämpfe.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah sich im Sprechzimmer um. Ihr erster Monat hier war hektisch gewesen, aber nichts im Vergleich zu Grady. Ungefähr drei Monate vergingen, bis Sara sich an das langsamere Tempo gewöhnte.
Ohrenschmerzen und Halsentzündungen gab es zuhauf, aber nur
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wenige Kinder kamen mit lebensbedrohlichen Krankheiten. Die wurden in das Krankenhaus drüben in Augusta gebracht.
Darryl Harps Mutter war die Erste gewesen, die Sara ein Foto ihres Kindes gegeben hatte. Weitere Eltern waren diesem Beispiel gefolgt, und schon bald hatte sie damit begonnen, die Bilder an den Wänden ihres Sprechzimmers zu befestigen.
Zwölf Jahre waren seit jenem ersten Foto vergangen, und die Galerie der Kinderfotos reichte jetzt schon bis zur Toilette. Sie brauchte nur einen Blick auf irgendeines dieser Bilder zu werfen, und sie konnte sich an den Namen des Kindes erinnern sowie meistens auch an seine oder ihre Krankengeschichte. Sie stellte dann irgendwann fest, dass sie inzwischen als junge Erwachsene in die Klinik kamen, und sie sagte ihnen, dass sie mit neunzehn besser einen Allgemeinmediziner aufsuchen sollten. Einige von ihnen reagierten darauf tatsächlich mit Tränen. Auch Sara musste einige Male schlucken. Da sie keine eigenen Kinder haben konnte, entwickelte sie oft starke emotionale Bindungen zu ihren Patienten.
Sara öffnete ihre Tasche, um ein Krankenblatt zu suchen. Sie stutzte, als sie die Ansichtskarte erblickte, die
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