Belladonna
Türen der Notaufnahme mit den Händen auf.
Sie merkte, wie Wut in ihr aufstieg. Sie durchschaute, was hier vorging. Frank wusste, wer auf Jeffrey geschossen hatte, aber aus irgendeinem Gefühl für Loyalität, wahrscheinlich gegenüber Matt Hogan, rückte er nicht mit der Sprache heraus. Was in Lenas Kopf vorging, konnte sich Sara absolut nicht vorstellen.
Bei allem, was Jeffrey für sie getan hatte, war es
unentschuldbar, dass Lena ihn im Stich gelassen hatte.
Sara holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen, als sie ums Krankenhaus herumging. Jeffrey hätte ums Leben kommen können. Das Glas hätte seine Oberschenkelarterie durchtrennen können. Dann wäre er verblutet. Der Schuss hätte ihn auch in die Brust treffen können. Sara fragte sich, was Frank und Lena jetzt wohl täten, wenn Jeffrey zu Tode gekommen wäre.
Wahrscheinlich würden sie auslosen, wer seinen Schreibtisch bekäme.
«O Gott.» Sara blieb beim Anblick ihres Wagens abrupt stehen. Auf der Motorhaube lag mit ausgebreiteten Armen eine nackte junge Frau. Sie lag auf dem Rücken und hatte die Füße in einer schon beinahe saloppen Pose gekreuzt. Saras erster Impuls war, nach oben zu blicken, um festzustellen, ob die Frau vielleicht aus einem der Fenster gesprungen war. Aber an der Seitenfront des zweistöckigen Gebäudes befanden sich keine Fenster, und außerdem war auch die Motorhaube des Wagens nicht im Geringsten eingebeult.
-195-
Mit drei schnellen Schritten war Sara am Wagen und prüfte den Puls der Frau. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie einen schnellen, starken Schlag, und sie sprach ein Stoßgebet, bevor sie zum Krankenhaus zurücklief.
«Lena!»
Lena sprang auf und ballte die Fäuste, als erwartete sie, dass Sara eine Schlägerei anfangen wollte.
«Besorgen Sie eine Trage», befahl Sara. Als Lena sich nicht rührte, bellte Sara: «Auf der Stelle!»
Sara eilte im Laufschritt zurück zu der Frau, rechnete schon fast damit, dass sie fort sein würde. Alles lief wie in Zeitlupe ab.
«Ma'am?», rief Sara der Frau so laut zu, dass man es auf der anderen Seite der Stadt hätte hören können. Die Frau reagierte nicht. «Ma'am?», versuchte es Sara nochmal. Wieder nichts.
Sara musterte prüfend den Körper der Frau und erkannte keine augenfälligen Verletzungen. Die Haut war von gesunder Farbe und fühlte sich trotz der nächtlichen Kälte sehr heiß an.
So wie sie dalag, die Arme ausgebreitet und die Füße über Kreuz, hatte es den Anschein, als ob die Frau schliefe. Im hellen Licht erkannte Sara verkrustetes Blut an den Handflächen. Sie hob eine der Hände, um sie näher zu untersuchen, und der Arm fiel irgendwie ungelenk zur Seite. Offensichtlich war er an der Schulter ausgerenkt.
Sara wandte den Blick dem Gesicht der Frau zu und bemerkte zu ihrer Verblüffung, dass ein Stück silbriges Klebeband den Mund bedeckte. Sara konnte sich nicht daran erinnern, ob das Band schon da geklebt hatte, bevor sie zurück ins Krankenhaus gelaufen war. Sicherlich hätte sie es bemerkt. Ein zugeklebter Mund war doch nicht leicht zu übersehen, besonders dann nicht, wenn das Klebeband mindestens fünf Zentimeter breit, fast zehn Zentimeter lang und silbern war. Für einen ganz kurzen Moment fühlte sich Sara wie gelähmt, aber Lena Adams' Stimme holte sie in die Realität zurück.
-196-
«Das ist Julia Matthews», sagte Lena, für Saras
Wahrnehmung wie aus weiter Ferne.
«Sara?», fragte Hare und kam schnell zum Wagen herüber.
Beim Anblick der nackten Frau klappte ihm die Kinnlade herunter.
«Okay, okay», flüsterte Sara und gab sich Mühe, Ruhe zu bewahren. Auf ihren von Panik erfüllten Blick reagierte Hare ebenso verstört. Hare war ab und zu mal eine Überdosis oder an Herzanfälle gewöhnt, aber nicht an so etwas wie das hier.
Als wolle er sie beide daran erinnern, wo sie sich befanden, begann der Körper der Frau zu krampfen.
«Sie muss sich übergeben», sagte Sara und zupfte an einer Ecke des Klebebands. Ohne einmal innezuhalten, riss sie das Band ab. Mit einer schnellen Bewegung rollte sie die Frau auf die Seite und drehte deren Kopf nach unten, sodass sie sich übergeben konnte, was sie auch stoßweise tat. Ein saurer Geruch machte sich bemerkbar, fast wie von schlechtem Apfelwein oder von Bier, und Sara musste sich abwenden, um durchzuatmen.
«Ist ja alles gut», sagte sie eindringlich und leise. Sie strich der Frau das schmutzige braune Haar hinters Ohr und erinnerte sich daran, dass sie gerade erst vor zwei Tagen
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