Belladonna
Grundstein, das Sieb, durch das alle anderen Herzen fließen. Wer sie ist, wird zur Resonanz eines Ortes.« Normalerweise, ergänzte sie schweigend.
»Aber ich kann nicht die ganze Zeit gut sein. Ich kann es nicht!«
»Nein, das kannst du nicht. In jedem Garten gibt es Schatten, Caitlin Marie. In jedem Herzen gibt es Dunkelheit. Selbst durch die Orte des Lichts fließen schwache Strömungen der Dunkelheit. Kein Herz gehört nur einem von beidem.« Sie spürte, wie ein Beben der Erleichterung den Körper des Mädchens durchlief, gerade als sie dachte: In diesen Worten liegt eine Antwort.
Orte des Lichts brauchten ein Stück Dunkelheit, und dunkle Landschaften brauchten noch immer ein wenig Licht. Warum brauchten die dunklen Landschaften das Licht? Diese Frage hatte sie gequält, als sie vor den Mauern der Stadt der Zauberer gestanden und das Urteil des Herzens gesprochen hatte. Und sie quälte sie jetzt.
Die Kriegerin des Lichts muss vom Dunklen Becher trinken.
Und nun würde sie Michael überreden müssen, ihr die Geschichte über die Kriegerin des Lichts zu erzählen, nachdem sie ihn gerade gewarnt hatte, keine Geschichten zu erzählen.
Hab Geduld, flüsterte eine sanfte, zeitlose Stimme. Wenn die Zeit reif ist, wird er sie dir erzählen.
»Lee«, sagte Michael, »da du eine Laterne hast und ich die andere, warum hilfst du Caitlin Marie nicht den Strand hinauf? Der Pfad zum Dorf liegt nur ein Stück nach dort drüben.«
Bevor Glorianna ihm sagen konnte, sie könnten gut genug sehen, sah Caitlin sich zu ihrem Bruder um. Grinsend löste sie sich von Glorianna, hakte sich bei Lee ein und sagte: »Na, dann komm. Ich zeige dir den Pfad, und wir lassen die Faultiere aufholen, wenn sie können.«
»Was für Tiere?«, fragte Glorianna. Dann schloss sich eine Hand um die ihre. Größer. Warm. Ein wenig rau vom Arbeiten.
»Es gibt da etwas, das ich über Lee wissen möchte«, sagte Michael und lächelte sie an. »Ist er dein älterer Bruder?«
»Mein jüngerer.«
»Jünger?« Er klang überrascht. »Aber wir sind gleich alt.«
»Dann bist du achtundzwanzig oder neunundzwanzig. Ich bin einunddreißig.« In diesem Stadium ihres Lebens sollten ein paar Jahre keinen Unterschied machen, vor allem da es keine Rolle gespielt hätte, wenn er derjenige gewesen wäre, der älter war. Doch sie konnte sich noch an die Zeit erinnern, als diese paar Jahre zwischen Lee und ihr einen großen Unterschied bedeutet hatten.
»Ach. Eine ältere Frau.«
Das Lachen in seiner Stimme, als wüsste er genau, was sie gerade dachte, ließ sie sich töricht fühlen - und das gab ihr das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.
»Ja«, sagte sie scharf. »In ein paar Jahren werde ich graue Haare und Falten haben.«
»Aber jetzt bist du eine Frau, die voll im Saft des Lebens steht.«
Ihr stockte der Atem, ihr Herz kam ins Straucheln und der besagte Saft des Lebens geriet in Wallung.
»Zeigst du mir diesen Trick, wie man die Strömungen fühlt?« Michael hielt ihre verschränkten Hände hoch.
»Es ist nicht deine Landschaft.« Genau genommen war es auch nicht Caitlins, doch sie hatte nicht vor, ihm das zu sagen.
»Ach so. Na ja, du könntest immer noch sagen, du würdest es mir zeigen. Oder du könntest deinem Bruder erzählen, wir halten uns an den Händen, weil dir mein Aussehen gefällt, und du dich gefragt hast, wann ich vorhabe, dich wieder zu küssen.«
Er sah ihr in die Augen, während er ihre Hand hob und ihre Finger küsste - ein merkwürdiger kurzer Schauer durchrieselte sie und brachte ihr Blut erneut in Wallung.
»Das habe ich mich nicht gefragt«, schnaubte sie, froh, dass das Laternenlicht die Röte verbarg, die ihr diese Lüge in die Wangen trieb.
»Ich mich schon.«
Sein Lächeln veränderte sich. Die Belustigung verschwand, wurde ersetzt durch eine Eigenschaft, bei der sie sich nicht sicher war, ob sie sie benennen wollte. Denn es war mehr als Lust oder Begierde.
Ein schrilles Pfeifen ließ sie beide den Strand hinaufblicken, dorthin, wo Caitlin erfolglos an Lees Ärmel zog und Lee, mögen die Wächter ihm Seligkeit schenken, einfach nur dastand und zu ihnen blickte. Er hatte es nicht verlernt, genau den richtigen Zeitpunkt auszuwählen, um ein unglaublich lästiger kleiner Bruder zu sein.
»Also, was wirst du ihm sagen, Glorianna Belladonna?«, fragte Michael, als Lee begann, zu ihnen zurückzulaufen. »Sagst du deinem kleinen Bruder, du hättest mir geholfen, etwas über die Strömungen zu lernen - oder dass
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