Belladonna
helfen, ihren Platz in der Welt zu finden. Indem sie das tat, würde sie die Wächter und Wahrer finden, die ihr zeigen konnten, wie man den Weltenfresser besiegte.
Alles was sie brauchte, war der Mut, dem Pfad zu folgen.
»Ich bin dankbar für den Mantel, den du mir geliehen hast«, sagte Caitlin.
»Wir hätten Handschuhe mitbringen sollen«, sagte Glorianna und vergrub die Hände in den Taschen. Sie fühlte sich nicht ganz im Gleichgewicht mit sich selbst, also sagte sie nichts weiter, sondern drehte sich nur nach hinten, um Lee dabei zuzusehen, wie er die zwei Laternen entzündete, die er auf der Insel aufbewahrte.
Caitlin rieb rasch die Hände aneinander. »Wenn der Wind aus dem Norden kommt, ist er wirklich schneidend kalt.«
»Das ist der Atem des Eisbiests«, sagte Michael lächelnd. »Es bläst auf das Meer, um Eisschollen zu erschaffen, damit es zur Welt der Menschen hinunter gleiten kann, um ein hübsches Mädchen zu entführen. Es nimmt sie mit in seine Höhle, um sie zu seiner Frau zu machen.«
»Oder zu seinem Abendessen, wenn sich das Mädchen als langweilige Gesellschaft erweist«, fügte Caitlin hinzu.
Glorianna erzitterte. Ein Jahr zuvor hätten ihre Worte keinen Schaden angerichtet. Jetzt … »Erzählt diese Geschichte keinem Fremden.«
Lee fluchte leise. Er zumindest verstand. Doch Michael schüttelte den Kopf und sagte: »Es ist nur eine Geschichte.«
»Vor einem Jahr war es nur eine Geschichte. Jetzt gibt es etwas dort draußen, das die Vorstellung des Eisbiests aus den Gedanken eines Menschen herauspflücken und Wirklichkeit werden lassen kann. Etwas, das eine Geschichte in Wahrheit verwandeln kann. Das ist es, was der Weltenfresser tut. Er nimmt deine Ängste und lässt sie wahr werden - bis alles, was noch übrig ist in der Welt, die Dinge sind, die du fürchtest.«
Sie beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck von Caitlin und Michael veränderte, als ihnen die Bedeutung ihrer Worte aufging. Caitlin blickte entmutigt drein, aber Michael … Aus irgendeinem Grund hatte die Erinnerung, dass Geschichten mehr sein konnten als Geschichten, seinem Herzen einen Stoß versetzt.
»Sollen wir gehen?«, fragte sie.
»Hier«, sagte Lee und reichte Michael eine Laterne. »Ist die Dunkelheit normal?«
»Wir sind vor der Morgendämmerung hier angekommen«, antwortete Michael und blickte zum Himmel. »Die Sonne ist noch nicht aufgegangen.«
»Ach so.«
Lee hatte eine Frage gestellt; Michael hatte eine andere beantwortet. Dieses Dorf war kurz davor, eine dunkle Landschaft zu werden. Ab und zu glitt es in die Dunkelheit hinüber, wurde aber noch stets zum Licht zurückgezogen.
»Aber als wir Aurora verließen, stand die Sonne schon am Himmel«, protestierte Caitlin.
»Wir sind jetzt in einem anderen Teil der Welt«, sagte Glorianna. Sie berührte Caitlin am Ärmel, um die Aufmerksamkeit des Mädchens auf sich zu ziehen. »Strömungen aus Licht und Dunkel durchziehen diesen Ort, obschon die Dunklen Strömungen ein wenig überwiegen. Vielleicht aufgrund der Dinge, die hier in letzter Zeit geschehen sind.«
»Wie die Jungen, die das Haus angezündet haben?«, murmelte Caitlin.
»Ja.« Glorianna musterte Caitlin. Was hatte sie mit achtzehn schon alles getan? Was hatte sie in diesem Alter bereits gewusst, das dieses Mädchen noch nicht einmal zu erkennen begann? »Kannst du ihre Resonanz fühlen? Kannst du die Strömungen aus Licht und Dunkel spüren?«
»Ich weiß nicht,« flüsterte Caitlin. »Ich stehe neben dir und ich fühle … irgendetwas … aber ich weiß es nicht. Ich glaube, ich darf das hier nicht tun.«
Caitlin ist durch ihr Leben gestolpert, weil es niemanden gab, der ihr helfen konnte, die Sinneseindrücke zu erklären, die sie überall umgeben. Sie hätte so viel Schaden anrichten können, hätte nicht das Herz eines anderen darum gekämpft, das Dorf so weit im Gleichgewicht zu halten.
»Nimm meine Hand.« Sie hielt Caitlin den ausgestreckten Arm entgegen. »Ich zeige es dir so, wie meine Mutter es mir gezeigt hat.«
Als du laufen gelernt hast, Glorianna, hast du meine Hand gehalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jetzt nimm meine Hand noch einmal, und lerne eine neue Art des Laufens.
Caitlin keuchte auf und versuchte, ihre Hand wegzuziehen.
»Fürchte dich nicht davor«, sagte Glorianna leise und verstärkte ihren Griff. »Was du fühlst, ist die Welt. Ephemera fließt durch das Herz, lässt das Herz Gestalt annehmen. Dein Herz. Eine Landschafferin ist der
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