Belladonna
sie sich einmal einem Wutausbruch hingegeben hatte. Sie erinnerte sich heute nicht mehr daran, was Tante Brighid ihr verweigert hatte, doch sie konnte sich an jenen Moment erinnern, an dem sie über alle Worte hinaus hatte böse sein wollen. Konnte sich daran erinnern, wie sie die kobaltblaue Glasstatue aufgehoben hatte, die die Herrin des Lichts darstellte - eines der wenigen Besitztümer, die ihre Tante mit nach Ravens Hill gebracht, und das einzige, das Brighid wirklich geschätzt hatte. Konnte sich an die entsetzliche Schadenfreude erinnern, als sie die Statue auf den Boden geworfen hatte, um ihr Missfallen auszudrücken.
Und sie konnte sich an den nackten Schmerz in Brighids Blick erinnern, als die Statue zerbrach - und wie gebrochen sich auch Brighid angehört hatte, als sie sagte: »Dann tu eben, was du willst.« Brighid war in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte die Tür abgeschlossen - und den Rest des Nachmittags über hatte sie geweint.
Was für ein beängstigender Moment für ein junges Mädchen, sich zu fragen, ob es überhaupt noch irgendjemanden gab, der es liebte.
Die Statue war in eine Handvoll Stücke zersprungen. Sie hatte sie aufgehoben und auf den Küchentisch gelegt, dann hatte sie vorsichtig den Boden gefegt, um all die kleinen Scherben aufzulesen. Sie hatte ihren kleinen Leimtopf geholt und ihr Bestes getan, die Statue wieder zusammenzusetzen, doch sie sah immer noch aus wie etwas, das zerbrochen und schlecht wieder repariert worden war. Als Brighid schließlich aus ihrem Zimmer kam, starrte sie die Statue einen langen Augenblick an, dann nahm sie sie und warf sie in den Mülleimer.
»Manche Dinge kann man nicht reparieren, Caitlin Marie.«
Dieses Mal hatte sie den Bruch nicht alleine herbeigeführt, doch das Ergebnis war das gleiche: Die Welt konnte nicht repariert werden. Nicht einmal Glorianna konnte sie reparieren. Warum sollten diese Menschen sie unter sich haben wollen?
Kannst du es fühlen, Caitlin?
Die Angst, man setzte sie in diesem Dorf ab, damit Michael und Brighid - und Glorianna - sich von ihr reinwaschen konnten, stieg als Feindseligkeit in ihr auf, als sie Glorianna den Steg hinunter folgte. Nein, sie konnte es nicht fühlen. Die Leute erwarteten von ihr, alles zu wissen, konnten aber nicht damit behelligt werden, etwas zu erklären. Und sie hatten ihr vorgeworfen, etwas falsch gemacht zu haben, während sie gar nicht gewusst hatte, dass sie etwas falsch machen konnte.
Dann betrat sie den Kai und taumelte gegen Glorianna. Sie war sich undeutlich bewusst, wie Lee, der hinter ihr vom Schiff kam, ihren Arm packte, um sie zu stützen.
Das Licht blendete sie. Die Luft fühlte sich schwer an und so voller Macht, allein das Atmen gab ihr das Gefühl, ein wenig beschwipst zu sein. Und etwas strömte durch sie hindurch, das aus Freude und Trauer bestand, aus Wut und Gelächter, fruchtbarem Boden und hartem Fels, Süß- und Salzwasser.
»Die Strömungen des Lichts und der Dunkelheit, die durch diese Landschaft fließen, passen sich an, um besser mit den Strömungen, die durch dich selbst fließen, in Einklang zu sein«, sagte Glorianna. »So fühlt es sich an, Grundstein einer Landschaft zu sein. Kannst du es spüren, Caitlin?«
»Ja.« Ich bin zu Hause! »Ja, ich kann es spüren.«
Glorianna lächelte. »Dann wollen wir mal sehen, was wir tun können, damit du hier sesshaft werden kannst.«
»Für ein angeblich kleines, rückständiges Dorf haben sie einen guten Hafen«, sagte Lee. »Es könnte sein, dass sie viel mehr Handel treiben, als die anderen Inselbewohner wissen. Also haben sie wahrscheinlich auch eine Herberge oder einen Gasthof für Reisende, in dem Caitlin bleiben könnte, bis sie einen passenden Ort für sich findet.«
»Wir werden sehen«, sagte Glorianna und lächelte Lee an, als teilten sie ein Geheimnis. Dann hakte sie sich bei Caitlin ein und führte sie zum Begrüßungskomitee.
Caitlin warf einen kurzen Blick zurück. Michael schenkte ihr ein ermutigendes Lächeln, obwohl es um die Mundwinkel noch ein wenig schief geriet. Tante Brighid … Nun ja, es war schwer zu sagen, was ihre Tante in diesem Moment dachte.
Die Menschen, die sie erwarteten, lächelten alle. Als sie und Glorianna nur noch wenige Schritt vom Komitee entfernt waren, rissen die Männer mit einer Bewegung ihre Kappen vom Kopf, die so vollkommen synchron war, dass sie sich fragte, ob sie es wohl regelmäßig übten.
Dann erlosch das Lächeln. Die Menschen starrten sie an, bis eine
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