Belladonna
alte Frau nach vorne trat. Sie lächelte, trotz der Tränen, die ihr in den Augen standen.
»Endlich ist es geschehen«, sagte sie und sah Glorianna an. »All die Jahre des Wartens... jetzt sind sie vorüber. Die Herzensseherin ist zurückgekehrt.« Ihr Blick glitt hinüber zu Caitlin, und ihre Freude verwandelte sich in Verwirrung.
»Ich bin die Wächterin, die Herzensseherin, von Lighthaven«, sagte Glorianna. »Caitlin Marie ist die Landschafferin der übrigen Weißen Insel. Sie ist diejenige, die sich die letzten zwölf Jahre um den Garten der Liebsten gekümmert hat.«
»Aahhh.« Ein Raunen ging durch die Menge, als ergäbe etwas, das stets eigenartig erschienen war, jetzt plötzlich einen Sinn.
»Ich bin Peg«, sagte die alte Frau. »Das hier ist meine jüngste Enkeltochter Moira. Ich bin sozusagen der Eckpfeiler des Dorfes. Ich lerne die kleine Moira an, seit sie den Ort in den Knochen spürt, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Bevor Caitlin zugeben konnte, dass die Worte für sie keinen Sinn ergaben, sagte Glorianna: »Ihr seid der Anker.«
Erwartungsvolle Stille. Ein Gefühl wie Atem, der über die Härchen auf ihrem Arm strich.
»Ihr wisst es«, sagte Peg, ihr runzliges Gesicht leuchtete vor Freude, obwohl ihre Stimme einen Hauch Zweifel barg.
»Anker helfen den Landschafferinnen, die Gesundheit und das Gleichgewicht der Welt zu erhalten«, sagte Glorianna. »Doch die meisten erkennen nicht, was sie für einen Ort und seine Menschen tun.«
»Wir haben unsere Traditionen nicht vergessen«, sagte ein grauhaariger Mann mittleren Alters. »Nicht wie einige im Süden.«
»Still, Colin«, sagte Peg. »Wir wollen nicht schlecht über unsere Nachbarn sprechen - auch wenn sie sich die meiste Zeit über benehmen wie dickköpfige Ziegen«, fügte sie mit einem kaum hörbaren Murmeln hinzu.
Caitlin versuchte schnaubend, ein Lachen zu unterdrücken.
»Brauchst du ein Taschentuch?«, fragte Glorianna mit einer Höflichkeit, die sogar Tante Brighid eingeschüchtert hätte.
»Nein«, sagte Caitlin demütig.
Peg sah Glorianna an - und lächelte. »Ihr seid sehr stark, nicht wahr?«
»Ich verstehe, wie stark - und wie zerbrechlich - die Welt sein kann«, erwiderte Glorianna.
»Ich habe Euren Namen nicht verstanden.«
»Glorianna Belladonna.«
Erneut erwartungsvolles Schweigen. Nervöse Unruhe kam auf.
»Es gibt ein Paar Wachsteine jenseits des Dorfes«, sagte Peg. »Einige unserer Jungen und Mädchen gehen auf Reisen. Ein paar sind für andere Orte bestimmt. Ein paar kehren zurück zum Hafen der Liebsten. Also haben wir von Belladonna gehört.«
Glorianna sagte nichts, doch in ihren grünen Augen lag jetzt eine Kälte, die Caitlin wünschen ließ, Michael würde vortreten und etwas tun, etwas sagen.
Peg sah besorgt aus. »Wir haben auch gehört, der Zerstörer des Lichts sei erwacht.«
»Wo ich herkomme, nennt man ihn den Weltenfresser«, sagte Glorianna. »Und, ja, er zieht wieder durch die Landschaften - und hat Elandar bereits berührt.«
Peg nickte. »Dann bin ich froh, die Kriegerin des Lichts mit meinen eigenen zwei Augen gesehen zu haben. Und wir sind dankbar, dass Ihr diejenige seid, die uns die Seherin zurückgebracht hat.« Sie schniefte einmal, dann straffte sie die Schultern. »Und nun …«
»Kapitän Kenneday!«, rief Colin aus und hob eine Hand.
»Du willst doch wohl jetzt keine Geschäfte machen!«, schimpfte Peg.
»Welchen besseren Zeitpunkt könnte es geben?«, fragte Colin.
Peg öffnete den Mund - und atmete schließlich hörbar wieder aus. »Also gut, bitte. Sprich du mit dem Kapitän. Kayne! Du hast ohnehin jüngere Beine. Zeig ihnen auf dem Weg zum Haus der Seherin etwas vom Dorf.«
»Es gibt ein Haus?«, fragte Caitlin. Etwas ließ sie zu Glorianna und Lee hinüberblicken - und sie erkannte, die beiden hatten bereits von dieser Unterkunft gewusst.
»Natürlich gibt es ein Haus«, sagte Peg. »Das alte ist vor ein paar Jahren abgebrannt. War ganz recht so. Ich möchte nicht unhöflich sein, denn sie war ja wohl mit dir verwandt, doch die Letzte, die sich um den Garten kümmerte, hat von Zeit zu Zeit in dem Haus gewohnt. Ich war damals noch ein Mädchen, aber ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mit Freunden gesprochen und gesagt hat, sie hätten das Haus von oben bis unten geschrubbt, aber den säuerlichen Geruch nicht herausbekommen können. Es war, als sei das Gemüt der Frau in Holz und Stein gesickert. Das Haus, das jetzt dort steht, ist zwar gepflegt, aber nicht
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