Belladonna
flüsterte Glorianna. »Das Samenkorn heißt Hoffnung.«
»Glorianna …«
Sie schüttelte den Kopf. Schob ihren Stuhl zurück. »Ich muss gehen.« Sie zog ein gefaltetes, mit Wachs versiegeltes Stück Papier aus der Tasche. »Würdet Ihr Euch darum kümmern, dass Yoshani dies bekommt?« Sie wartete auf Brighids Nicken, dann eilte sie zur Küchentür. Als sie nach dem Türknauf griff, hielt sie inne und sah zurück. »Reist leichten Herzens, Brighid.«
Sie beeilte sich, das Gästehaus zu verlassen. Es gab nur einen Menschen, den sie sehen wollte, und sie wollte den Rest des Tages mit ihm allein verbringen. Mit Michael.
Das war sicher nicht zu viel verlangt. Nicht, wenn sie kurz davor stand, den Rest ihres Lebens zu opfern.
Brighid stand lange am Küchenfenster. Es war noch zu dunkel draußen, um etwas zu sehen, doch das spielte keine Rolle.
Ihre Wege würden sich trennen? Warum? Glorianna und Michael empfanden etwas ganz Besonderes füreinander. Sie hatte es selbst gesehen, als sie alle zur Weißen Insel gesegelt waren. Und wenn auf Michaels Seite ein wenig mehr Interesse und auf Gloriannas ein wenig mehr Misstrauen herrschte, sei’s drum. Eine Frau hatte das Recht dazu, vorsichtig zu sein, wenn sie ihr Herz verschenkte, oder etwa nicht? Und mit den Brücken, die dieses Volk zu bauen wusste, würde keiner von beiden seine Teile der Welt... opfern... müssen...
Sie starrte auf ihr Spiegelbild im Fenster.
Sie hatte es vergessen. Oder hatte sich nicht daran erinnern wollen. Ein Rätsel. Eine Lösung. Und eine Geschichte über Liebe - und Aufopferung.
Sie kehrte zu ihrer Arbeit zurück, trug ihren Teil dazu bei, die Gäste und Bewohner dieses Hauses in den Heiligen Stätten zu versorgen. Doch selbst als ihre Hände der vertrauen Tätigkeit nachgingen, war nichts mehr wie zuvor. Würde es nie wieder sein.
Reist leichten Herzens, Brighid.
Rat und Segen einer Wächterin des Herzens. Sie würde den Rat befolgen, den Segen ehren. Und wenn der Himmel begann, heller zu werden, würde sie hinaus an den Koi-Teich gehen und, zum ersten Mal seit vielen Jahren, ihre Stimme zur Feier der Morgendämmerung erheben.
»Gibt es einen Grund, warum du zu dieser frühen Stunde hier bist und meine Speisekammer ausräumst?«, fragte Nadia und strich sich das vom Schlaf zerzauste Haar aus dem Gesicht, als sie die Vorräte ansah, die auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen.
»Ich brauche nur ein paar Sachen«, murmelte Glorianna, während sie ein paar Gegenstände in einen der zwei Henkelkörbe steckte. »Michael wird bald aufwachen, und ich habe auf dem Rückweg zur Insel nicht daran gedacht, etwas zu essen mitzubringen.«
Nadia zog den Gürtel des Morgenmantels fester, den sie über ihr Nachthemd geworfen hatte. »Du könntest ihn einfach zum Frühstück mitbringen und dann selbst zum Markt gehen.«
Zu viele Menschen. Zu viel Ablenkung.
»Glorianna?«
»Ich will einen Tag mit dem Magier verbringen. Alleine. Auf der Insel«, sagte Glorianna leise.
»Na, das ist ja in Ordnung. Aber kein Grund, alle meine Eier mitzunehmen.«
»Ich weiß, wie man den Weltenfresser aufhalten kann. Ich weiß, was getan werden muss.«
»Glorianna?«
Die Schärfe in Nadias Stimme warnte sie davor, dass ihre Mutter sehr wohl vernommen hatte, was unter den Worten verborgen lag.
Sie hob den Kopf und sah Nadia in die Augen. »Ich weiß, was getan werden muss.«
»Dann werden wir darüber sprechen. Wir alle. Jeb kann Lee und Sebas -«
»Nein.« Sie konnte sie nicht alle um sich ertragen. Nicht heute. Vielleicht war es selbstsüchtig - auf jeden Fall war es ungerecht -, doch sie konnte ihnen nicht allen entgegentreten. Und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre letzten Gefühle für sie die Resonanz eines Streits tragen würden.
Sie ging um den Tisch herum und schloss Nadia in die Arme. Fühlte, wie ihre Mutter sie als Antwort fest an sich zog.
»Er wird wütend sein, und es nicht tun wollen, also bearbeite Lee gut, damit er die neuen Brücken baut, die nötig sein werden. Und wende dein Herz nicht von dem Magier ab. Es ist nicht seine Schuld. Gelegenheit und Entscheidung, Mutter. Er hat mir die Gelegenheit geboten, doch die Entscheidung ist die meine.«
»Glorianna.«
Sie hörte die Tränen.
»Ich liebe dich«, flüsterte Glorianna. »Wenn du an mich denkst, erinnere dich daran. Ich liebe dich.«
Sie packten die Körbe in einem Schweigen fertig, in dem zu viel lag, als das man es hätte in Worte fassen können.
Dann verließ
Weitere Kostenlose Bücher