Belladonna
auf einer Krankentrage. Wieder sah sie sich als Objekt einer Untersuchung.
Sara zwang sich dazu, den Blick von der Leiche zu lösen. Sie fühlte sich zittrig und fehl am Platze. Jeffrey schaute sie durchbohrend an. Sein Gesichtsausdruck war eigenartig. «Was?», fragte sie.
Er schüttelte den Kopf, aber ließ sie nicht aus den Augen.
«Mir wäre es lieb», begann Sara, hielt inne und schluckte den Kloß herunter, den sie im Hals verspürt hatte. «Mir wäre es sehr lieb, wenn du mich nicht so ansehen würdest, okay?» Sie wartete, aber er ging nicht auf ihren Wunsch ein.
Stattdessen fragte er: «Wie sehe ich dich denn an?»
«Beutegierig», antwortete sie, aber das stimmte nicht ganz. Er sah sie so an, wie sie es sich wünschte. Verantwortungsbewusstsein lag in seinem Blick, als wünsche er sich nichts mehr, als die Sache in die Hand zu nehmen und die Lage zu verbessern. Sie hasste sich für diesen Wunsch.
«Es ist unabsichtlich», sagte er.
Sie zog die Gummihandschuhe aus. «Okay.»
«Ich mache mir Sorgen um dich, Sara. Ich möchte, dass du mit mir darüber sprichst, was los ist.»
Sara ging zum Vorratsschrank, weil sie dies Gespräch nicht über der Leiche von Julia Matthews führen wollte. «Darauf hast du keinen Anspruch mehr. Und erinnerst du dich noch, warum nicht?»
Wenn sie ihn geschlagen hätte, wäre seine Miene dieselbe gewesen. «Ich habe nie aufgehört, etwas für dich zu empfinden.»
Sie schluckte schwer, bemüht, diese Worte nicht an sich herankommen zu lassen. «Danke.»
«Manchmal», hob er an, «wenn ich morgens aufwache, habe ich ganz vergessen, dass du ja nicht mehr da bist. Ich habe vergessen, dass ich dich verloren habe.»
«So ähnlich, wie du auch mal vergessen hast, dass du mit mir verheiratet warst?»
Er trat ihr entgegen, aber sie machte einen Schritt rückwärts, bis sie nur noch Zentimeter vom Schrank entfernt war. Er stand vor ihr, die Hände auf ihren Armen. «Ich liebe dich noch immer.»
«Das ist aber nicht genug.»
Er trat näher. «Und was ist genug?»
«Jeffrey», sagte sie. «Bitte.»
Erst jetzt wich er zurück, und mit scharfer Stimme fragte er: «Was meinst du also?» Er bezog sich auf die Leiche. «Meinst du, du findest etwas?»
Sara kreuzte die Arme, denn sie spürte das Bedürfnis, sich zu schützen. «Ich glaube, sie hat ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen.»
Jeffrey sah sie erstaunt an. Normalerweise hatte Sara nichts fürs Melodramatische übrig. Sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, mit der Situation professioneller umzugehen, aber es war emotional eine harte Probe.
Sara zwang sich, eine ruhige Hand zu bewahren, als sie bei der Leiche den Standard-Y-Schnitt machte. Das Geräusch, das entstand, als sie das Fleisch wegklappte, machte ihren Vorsatz zunichte. Vielleicht half reden. «Wie halten sich ihre Eltern?»
Jeffrey sagte: «Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie furchtbar es war, ihnen sagen zu müssen, dass sie vergewaltigt worden war. Und dann dies.» Er deutete auf die Leiche. «Du kannst es dir gar nicht vorstellen.»
Wieder wanderten Saras Gedanken. Sie sah ihren Vater über ein Krankenhausbett gebeugt stehen, ihre Mutter, die ihn von hinten umarmte. Sekundenlang schloss sie die Augen und vertrieb das Bild. Sie würde das hier nicht bewerkstelligen können, wenn sie sich immer wieder an Julia Matthews' Stelle versetzte.
«Sara?», fragte Jeffrey.
Sara blickte auf. Überrascht stellte sie fest, dass sie die Autopsie unterbrochen hatte. Sie stand vor der Leiche, die Arme vor der Brust gekreuzt. Jeffrey wartete geduldig und verzichtete auf die nahe liegende Frage.
Sara nahm das Skalpell zur Hand, machte sich wieder an die Arbeit und diktierte. «Die Leiche wurde mit dem üblichen Y-Schnitt geöffnet. Die Organe im Thoraxraum und im Abdomen befinden sich in der normalen anatomischen Position.»
Jeffrey fing wieder zu reden an, kaum dass sie aufgehört hatte. Erfreulicherweise wählte er diesmal ein anderes Thema. Er sagte: «Ich weiß nicht, was ich mit Lena machen soll.»
«Was meinst du?», fragte Sara, die froh war, seine Stimme zu hören.
«Sie wird nicht besonders gut damit fertig», sagte er. «Ich hab ihr gesagt, sie soll sich ein paar Tage freinehmen.»
«Und meinst du, das tut sie?»
«Könnte durchaus sein.»
Sara nahm die Schere und schnitt mit flinken Bewegungen den Herzbeutel auf. «Und wo liegt dann das Problem?»
«Es steht mit ihr auf der Kippe. Das spüre ich. Ich weiß einfach nicht, was ich tun
Weitere Kostenlose Bücher