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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Schluchzer hallten wider, als er um eine Sara weinte, die er nie gekannt hatte.

NEUNZEHN
    Lena hob ganz langsam den Kopf und versuchte, ein Gefühl dafür zu bekommen, wo sie sich befand. Sie sah nichts als Dunkelheit. Sie hielt ihre Hand nur Zentimeter vom Gesicht entfernt, konnte aber weder Handfläche noch Finger genau erkennen. Sie vermochte sich nur noch daran zu erinnern, dass sie zuletzt in ihrer Küche gesessen und sich mit Hank unterhalten hatte. Was danach folgte, war wie ausgelöscht. Ihr war, als hätte sie einmal geblinzelt und sich dann an diesem Ort wieder gefunden. Wo immer sich dieser Ort befinden mochte.
    Sie stöhnte und bewegte sich zur Seite, um sich aufsetzen zu können. Mit plötzlicher Deutlichkeit wurde ihr klar, dass sie nackt war. Der Boden unter ihr fühlte sich rau an. Sie spürte die Maserung der Holzbohlen. Ihr Herz fing aus irgendeinem Grund schneller zu schlagen an, aber ihr Verstand wollte ihr nicht sagen, warum das geschah. Lena streckte die Hand nach vorne aus und ertastete noch mehr raues Holz, aber vertikal, es war eine Wand.
    Indem sie sich mit den Händen gegen die Wand stützte, konnte sie aufstehen. Von irgendwoher nahm sie ein Geräusch wahr, aber vertraut war es ihr nicht. Alles war zusammenhanglos und fehl am Platz. Sie spürte körperlich, dass sie nicht an diesen Ort gehörte. Lena fühlte, dass sie den Kopf gegen die Wand lehnte und wie das Holz einen Abdruck auf ihrer Stirn hinterließ. Das Geräusch war ein Stakkato in der Peripherie, hämmernd, dann nichts, hämmernd, dann nichts, wie ein Hammer, der auf ein Stück Stahl schlägt. Wie ein Schmied, der ein Hufeisen formt.
    Klink, klink, klink.
    Wo hatte sie das schon einmal gehört?
    Lenas Herzschlag wollte aussetzen, als ihr die Verbindung klar wurde. In der Dunkelheit sah sie, wie sich Julia Matthews' Lippen bewegten, das Geräusch nachahmten.
    Klink, klink, klink.
    Das Geräusch von tropfendem Wasser.

ZWANZIG
    Jeffrey stand hinter dem durchsichtigen Spiegel und blickte in den Verhörraum. Ryan Gordon saß am Tisch, die mageren Arme über der eingefallenen Brust gekreuzt. Buddy Conford saß neben ihm, die Hände vor sich auf dem Tisch verschränkt. Buddy war eine Kämpfernatur. Mit siebzehn hatte er sein rechtes Bein vom Knie abwärts bei einem Autounfall verloren. Mit sechsundzwanzig hatte er sein linkes Auge durch Krebs verloren. Als er neununddreißig war, hatte ein unzufriedener Klient den Versuch gemacht, Buddys Bemühungen mit zwei Kugeln zu honorieren. Buddy hatte eine Niere verloren, und einer seiner Lungenflügel war kollabiert, aber zwei Wochen später stand er schon wieder im Gerichtssaal. Jeffrey hoffte, dass Buddys Sinn für Recht und Unrecht ihnen heute helfen würde, die Dinge voranzubringen. Jeffrey hatte an diesem Morgen ein Foto von Jack Allen Wright von der staatlichen Datenbank heruntergeladen. Jeffrey würde in Atlanta eine weitaus bessere Ausgangsposition haben, wenn er über eine positive Identifikation verfügte.
    Jeffrey hatte sich noch nie für einen gefühlsbetonten Menschen gehalten, aber jetzt verspürte er einen Schmerz in der Brust, der einfach nicht vergehen wollte. Er wollte unbedingt mit Sara sprechen, aber er hatte schreckliche Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Auf der Fahrt zur Arbeit war er im Geist immer wieder durchgegangen, was er zu ihr sagen würde, und manchmal hatte er es auch laut ausgesprochen, um zu hören, wie es klang. Aber nichts konnte ihn zufrieden stellen, und schließlich saß Jeffrey dann geschlagene zehn Minuten mit der Hand auf dem Telefon in seinem Büro, bevor er genügend Mut zusammenhatte, um Saras Nummer in der Klinik zu wählen.
    Nachdem er Nelly gesagt hatte, dass es sich nicht um einen Notfall handelte, er aber dennoch gern mit Sara gesprochen hätte, wurde er nur mit einem schnippischen abgefertigt, bevor man den Hörer aufknallte. Das bewirkte bei Jeffrey zuerst enorme Erleichterung, aber dann verspürte er auch Abscheu vor seiner Feigheit.
    Er wusste, dass er um ihretwillen stark sein musste, aber Jeffrey fühlte sich zu sehr überrumpelt, um zu etwas anderem fähig zu sein, als loszuschluchzen wie ein Kind, sobald er daran dachte, was Sara widerfahren war. Er war verletzt, dass sie ihm nicht genug vertraut hatte, um zu erzählen, was ihr in Atlanta geschehen war. Andererseits war er auch wütend, dass sie ihn rundheraus belogen hatte. Die Narbe an der Seite war bagatellisiert worden als Überbleibsel einer

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