Belladonna
Mayonnaise von ihrem Finger. Sie hoffte, dass deren Geschmack den des Weins überdecken würde. «Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.»
Er setzte sich auf und zog seine Geldtasche aus der Hose. «Sie ist vor einer Weile gestorben», sagte er und ging die Bilder durch, die vorne steckten. Aus einer der Plastikhüllen zog er ein Foto heraus und hielt es Sara hin. «So geht's eben manchmal.»
Sara empfand das als etwas sonderbaren Kommentar zum Tod seiner Schwester. Sie nahm jedoch das Foto, das ein junges Mädchen im Cheerleader-Kostüm zeigte. Lächelnd hielt sie die Pompons nach links und rechts weggestreckt. Das Mädchen sah genau aus wie Jeb. «Sie war ja sehr hübsch», sagte Sara und gab ihm das Foto zurück. «Wie alt ist sie denn geworden?»
«Gerade dreizehn», antwortete er und betrachtete einige Sekunden lang das Foto. Er schob es wieder in die Plastikhülle und steckte die Geldtasche dann wieder in seine hintere Hosentasche. «Sie war ein Nachkömmling. Ich war schon fünfzehn, als sie geboren wurde. Mein Vater hatte gerade seine erste Pfarrstelle bekommen.»
«Er war Pfarrer?», fragte Sara und wunderte sich, dass sie das nicht gewusst hatte, obwohl sie mit Jeb ausgegangen war. Sie hätte schwören können, dass er ihr einmal erzählt hatte, sein Vater sei Elektriker.
«Er war Baptistenprediger», stellte Jeb richtig. «Er war stark und sicher in seinem Glauben, dass es in der Macht des Herrn liegt zu heilen, was den Menschen schmerzt. Ich bin froh, dass er seinen Glauben hatte, um den Verlust zu bewältigen, aber... » Er zuckte mit den Achseln. «Manche Dinge wird man einfach nicht los. Manche Dinge kann man nicht vergessen.»
«Tut mir sehr Leid, dass du sie verloren hast», sagte Sara. Sie wusste genau, was er damit meinte, etwas nicht loszuwerden. Sie senkte den Blick auf ihr Sandwich. Es gehörte sich nicht, gerade jetzt davon abzubeißen. Ihr Magen knurrte, aber sie achtete nicht darauf.
«Es ist schon sehr lange her», antwortete Jeb schließlich. «Ich hab gerade heute an sie gedacht - bei all dem, was so passiert ist.»
Sara wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war es leid, an den Tod erinnert zu werden. Sie wollte Jeb auch nicht trösten. Auf diese Verabredung war sie eingegangen, um sich davon abzulenken, was in letzter Zeit geschehen war, nicht um wieder daran erinnert zu werden.
Sie stand vom Tisch auf und fragte: «Möchtest du vielleicht etwas anderes trinken?» Dabei ging sie zum Kühlschrank. «Ich habe Coke, ein bisschen Kool-Aid, Orangensaft.» Sie öffnete die Tür, und das schmatzende Geräusch erinnerte sie an etwas. Sie wusste nur nicht genau zu sagen, was es war. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Das Gummifutter an den Türen der Notaufnahme im Grady hatte ganz genau dasselbe Geräusch verursacht, wenn sie geöffnet wurden. Noch nie zuvor war ihr die Ähnlichkeit bewusst geworden, aber sie war unbestreitbar.
Jeb sagte: «Coke ist prima.»
Sara griff in den Kühlschrank und tastete nach den Getränkedosen. Sie hielt inne, als ihre Hand eine der wohl bekannten roten Dosen berührte. Leichter Schwindel erfasste sie, als hätte sie zu viel Luft in den Lungen. Sie schloss die Augen, bemüht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sara befand sich wieder in der Notaufnahme. Die Türen öffneten sich mit diesem schmatzenden Geräusch. Ein junges Mädchen wurde auf einer Krankentrage hereingefahren. Die Sanitäter machten laut ihre Angaben, erste Zugänge wurden gelegt, und das Mädchen wurde intubiert. Es befand sich im Schockzustand, die Pupillen waren geweitet, der Körper fühlte sich warm an. Die Temperatur wurde angesagt: vierzig Grad. Der Blutdruck schoss immer höher. Zwischen den Beinen heraus blutete das Mädchen sehr stark.
Sara übernahm den Fall und versuchte sofort, die Blutung zu stoppen. Das Mädchen krampfte und krümmte sich, riss sich die Schläuche heraus und stieß mit den Füßen das Instrumententablett von der Trage. Sara beugte sich über das Mädchen und versuchte zu verhindern, dass es noch mehr Schaden anrichtete. Von einer Sekunde zur anderen hörten die Zuckungen auf, und Sara dachte schon, die Kleine sei gestorben. Doch ihr Puls war stark. Ihre Reflexe waren hingegen schwach, aber registrierbar.
Eine Vaginaluntersuchung ergab, dass das Mädchen erst kürzlich eine Abtreibung durchgemacht hatte, die jedoch nicht von einem qualifizierten Arzt vorgenommen worden war. Ihre Gebärmutter war grässlich zugerichtet, ihre Scheidenwände
Weitere Kostenlose Bücher