Belladonna
Kummer und Zorn in sich aufnahm, die den winzigen Verschlag erfüllten, sah Lena ein, dass Sibyl Recht gehabt hatte. Sie sah sich vor sich, wie sie in zwanzig Jahren sein würde, und konnte nichts dagegen tun, der Entwicklung keinen Einhalt gebieten.
Hank fragte: «Hast du mit Nan gesprochen?»
«Yeah.»
«Wir müssen uns um die Beerdigung kümmern», sagte er, nahm einen Stift und zeichnete eine Art Kasten auf seinen Kalender. Obendrüber schrieb er in Großbuchstaben BEGRÄBNIS. «Meinst du, es gibt jemanden in Grant, der das vernünftig machen könnte?» Er wartete auf ihre Antwort und fügte hinzu: «Ich mein, die meisten ihrer Freunde waren doch von da.»
«Was?», fragte Lena, das Glas an ihren Lippen. «Wovon redest du eigentlich?»
«Lee, wir müssen Vorbereitungen treffen. Wir müssen uns doch um Sibby kümmern.»
Lena leerte das Glas. Als sie Hank ansah, verschwammen seine Gesichtszüge. Ja, eigentlich wirkte der ganze Raum verschwommen. Sie hatte das Gefühl, sich auf einer Achterbahn zu befinden, und entsprechend reagierte auch ihr Magen. Lena presste die Hand vor den Mund und kämpfte gegen die Übelkeit.
Hank hatte diesen Gesichtsausdruck wahrscheinlich schon sehr oft gesehen, und meistens im Spiegel. Er stand neben ihr und hielt ihr einen Mülleimer unters Kinn, als sie den Kampf verlor.
DIENSTAG
SIEBEN
Sara beugte sich über den Küchenausguss im Haus ihrer Eltern und löste mit der Zange ihres Vaters den Wasserhahn. Sie hatte den größten Teil des Abends im Leichenschauhaus mit der Autopsie von Sibyl Adams verbracht. In ein dunkles Haus zurückzukehren und allein zu schlafen war nicht nach ihrem Geschmack gewesen. Dazu kam dann auch noch Jeffreys letzte Drohung auf ihrem Anrufbeantworter, noch einmal bei ihr vorbeizukommen, und so hatte Sara nicht mehr die geringste Wahl gehabt, wo sie vergangene Nacht hätte schlafen sollen. Sie war bei sich nur eben reingeschlichen, um die Hunde zu holen, und hatte sich noch nicht einmal die Zeit genommen, ihren Operationskittel abzulegen.
Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah auf die Uhr an der Kaffeemaschine. Es war halb sieben morgens, und sie hatte gerade mal zwei Stunden geschlafen. Wenn sie die Augen schloss, hatte sie an Sibyl Adams auf der Toilette denken müssen, die nicht sah, was mit ihr geschah, aber umso mehr spürte, was der Angreifer ihr antat.
Das einzig Gute war, dass der heutige Tag niemals so schlimm werden konnte wie der gestrige, es sei denn, es käme zu irgendeiner Art familiärer Katastrophe.
Cathy Linton spazierte in die Küche, öffnete einen Schrank und nahm eine Kaffeetasse heraus, bevor sie gewahr wurde, dass ihre älteste Tochter neben ihr stand. «Was machst du denn hier?»
Sara legte einen neuen Dichtungsring ein. «Der Wasserhahn hat getropft.»
«Zwei Klempner in der Familie», klagte Cathy und goss sich Kaffee ein, «und meine Tochter, die Ärztin, muss einen tropfenden Wasserhahn reparieren.»
Sara lächelte und drehte die Zange mit ganzer Kraft. Die Lintons waren eine Familie von Klempnern, und Sara hatte die meisten Tage ihrer Schulferien im Sommer damit verbracht, ihrem Vater beim Reinigen von Abflüssen und Schweißen von Rohren zur Hand zu gehen. Manchmal dachte sie, sie habe nur deswegen die High School ein Jahr früher abgeschlossen und im Sommer für die Universitätsreife gearbeitet, um nicht mit ihrem Vater in von Spinnen verseuchten Hohlräumen unter dem Fußboden nach der Wasserleitung zu suchen. Nicht dass sie ihren Vater nicht liebte, aber im Gegensatz zu Tessa hatte sie ihre Angst vor Spinnen nie überwinden können.
Cathy rutschte auf den Küchenhocker. «Hast du letzte Nacht hier geschlafen?»
«Ja», antwortete Sara, die sich jetzt die Hände wusch. Sie drehte den Wasserhahn zu und lächelte zufrieden, als er nicht mehr tropfte. Das Gefühl, etwas gut gemacht zu haben, nahm ihr ein wenig Last von den Schultern.
Cathy lächelte anerkennend. «Wenn diese Medizinsache sich nicht auszahlt, kannst du immer aufs Klempnern zurückgreifen.»
«Weißt du, das hat Daddy mir auch gesagt, als er mich am ersten Tag zum College fuhr.»
«Ich weiß», sagte Cathy, «und dafür hätte ich ihn umbringen können.» Sie trank einen Schluck Kaffee und sah Sara über den Rand ihrer Tasse an. «Warum bist du nicht zu dir nach Hause gefahren?»
«Ich hab bis spät gearbeitet und wollte gern hierher kommen. Das ist doch in Ordnung?»
«Aber natürlich ist es in Ordnung», sagte Cathy und warf Sara
Weitere Kostenlose Bücher