Belladonna
BassRhythmus; sie stützte die Ellbogen auf die Theke und legte die Hände über die Ohren, um sich möglichst ungestört beim Denken zuzuhören.
Jemand stieß gegen ihren Arm, und als sie den Kopf hob, sah sie den Prototyp eines Hinterwäldlers neben sich sitzen. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, und zwar vom Hals aufwärts bis zwei Zentimeter unter dem Haaransatz, weil er wahrscheinlich im Freien gearbeitet und dabei seine Baseballkappe getragen hatte. Sein Hemd war so gestärkt, dass man es hätte hinstellen können, und die Manschetten lagen eng um seine dicken Handgelenke. Die Musikbox verstummte plötzlich, und Lena mahlte mit den Kinnbacken, damit es in den Ohren knackte und sie sich nicht mehr so vorkam, als sei sie in einem Tunnel.
Der Gentleman-Nachbar knuffte abermals ihren Arm, grinste und sagte: «He, Lady.»
Lena verdrehte die Augen und erweckte die Aufmerksamkeit des Barkeepers. «JD on the rocks», bestellte sie.
«Das geht auf mich», sagte der Mann und knallte einen Zehndollarschein auf die Theke. Wenn er sprach, kollidierten seine Wörter wie die Waggons eines entgleisten Güterzugs, und Lena wurde klar, dass er viel betrunkener war, als sie je werden wollte.
Der Mann bedachte sie mit einem lüsternen Grinsen.
«Weißt du was, Zuckerpuppe, ich würde gern was Biblisches mit dir anstellen.»
Sie beugte sich dicht an sein Ohr. «Sollte ich je feststellen, dass du es getan hast, werd ich dir mit meinem Zündschlüssel die Eier rausreißen.»
Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, wurde aber vom Barhocker gerissen, bevor er auch nur ein Wort herausbekam. Hank stand da, hielt den Mann am Hemdkragen gepackt und stieß ihn dann in die Menge. Der Blick, mit dem ihr Onkel sie musterte, war genauso grimmig wie der, mit dem sie ihn ansah.
Lena hatte Hank nie gemocht. Anders als Sibyl war sie jemand, der nur schwer verzeihen konnte. Auch wenn Lena Sibyl nach Reece fuhr, damit sie den Onkel besuchen konnte, verbrachte sie den größten Teil der Zeit im Auto oder saß auf der Vordertreppe, Autoschlüssel in der Hand, um sofort aufbrechen zu können, sobald Sibyl zur Vordertür herauskam.
Trotz der Tatsache, dass Hank sich im Alter von zwanzig bis fast vierzig ständig Speed in die Venen gespritzt hatte, war er keineswegs ein Idiot. Dass Lena mitten in der Nacht bei ihm auftauchte, konnte nur eins bedeuten.
Sie sahen einander immer noch starr an, als die Musik von neuem loslegte, die Wände zu erschüttern schien und den Boden so stark vibrieren ließ, dass man es auf dem Barhocker spürte. Was Hank fragte, sah sie eher, als dass sie es hören konnte: «Wo ist Sibyl?»
Hinter die Bar angebaut und eher wie eine Außentoilette wirkend und nicht wie ein Raum für normale Geschäfte, war Hanks Büro nicht viel mehr als ein kleiner Holzverschlag mit einem Blechdach. Eine Glühbirne hing an einem fast durchgescheuerten elektrischen Kabel, das wahrscheinlich gleich nach der großen Depression im Rahmen eines staatlichen Hilfsprogramms installiert worden war. Plakate von Bier- und Schnapsfirmen dienten als Tapeten. Weiße Kartons mit Spirituosen waren vor der rückwärtigen Wand aufgestapelt, sodass vielleicht noch drei Quadratmeter Platz blieben für einen Schreibtisch und je einen Stuhl auf beiden Seiten. Um die Stühle und den Tisch herum häuften sich Schachteln voller Quittungen und Belege, die Hank als Betreiber der Bar im Laufe der Jahre angesammelt hatte. Ein Bach, der hinter der Bar floss, sorgte dafür, dass stets Feuchtigkeit und Moder in der Luft lagen. Lena nahm an, dass Hank gern an diesem düsteren und muffigen Ort arbeitete.
«Ich sehe, du hast renoviert», sagte Lena und stellte ihr Glas auf eine der Schachteln. Sie konnte nicht sagen, ob sie nicht mehr betrunken genug oder schon zu betrunken war, um es zu merken.
Hank warf einen flüchtigen Blick auf das Glas und sah dann wieder Lena an. «Du trinkst doch gar nicht.»
Sie hob das Glas und prostete ihm zu. «Auf die Spätentwicklerin.»
Hank setzte sich auf seinem Bürostuhl zurück, die Hände vor dem Bauch verschränkt. Er war hoch gewachsen und dürr, und seine Haut neigte dazu, im Winter schuppig zu werden. Hanks Vater war Spanier, aber äußerlich ähnelte er weit mehr seiner Mutter, einer käsigen Frau, die so sauertöpfisch war, wie sie aussah. Lena war es immer so vorgekommen, als ob Hank große Ähnlichkeit mit einer Albino-Schlange besaß.
Er fragte: «Was treibt dich in diese Gegend?»
«Wollte nur mal reinschauen»,
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