Belladonna
würde.
Tessa Linton saß an der Theke, den Kopf in die Hände gestützt. Pete Wayne saß ihr gegenüber und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Nur an dem Tag, als die Raumfähre Challenger explodiert war, hatte Jeffrey ihn wie heute ohne seine Papiermütze im Lokal gesehen. Petes Haar war auf seinem Kopf hochgesteckt, und dadurch wirkte sein Gesicht noch länger, als es bereits war.
«Tess?», fragte Jeffrey und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie lehnte sich weinend an ihn. Jeffrey strich ihr übers Haar und nickte Pete zu.
Pete Wayne war normalerweise ein fröhlicher Mensch, aber heute wirkte er wie versteinert. Er schien Jeffrey kaum wahrzunehmen, starrte unverwandt zu den Fenstern an der Restaurantfront hinaus und bewegte fast unmerklich die Lippen. Doch es kam kein Ton heraus.
Nach einigen Augenblicken des Schweigens setzte Tessa sich auf. Sie hantierte an dem Serviettenspender, bis Jeffrey ihr sein Taschentuch anbot. Er wartete, bis sie sich die Nase geputzt hatte, und fragte dann: «Wo ist Sara?»
Tessa faltete das Taschentuch zusammen. «Noch immer auf der Toilette. Ich weiß nicht -» Tessas Stimme versagte. «Da war so viel Blut. Sie wollte mich nicht hineinlassen.»
Er nickte und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sara war immer sehr besorgt um ihre kleine Schwester, und während ihrer Ehe hatte sich dieser Beschützerinstinkt auf Jeffrey übertragen. Auch nach der Scheidung hatte Jeffrey noch das Gefühl, dass Tessa und die Lintons seine Familie waren.
«Okay?», fragte er.
Sie nickte. «Geh nur. Sie braucht dich.»
Jeffrey gab sich Mühe, darauf nicht einzugehen. Wäre Sara nicht Coroner des County, würde er sie nie zu Gesicht bekommen. Es sagte viel über ihre Beziehung aus, dass erst jemand sterben musste, damit sie sich mit ihm im selben Raum aufhielt.
Als er in dem Lokal nach hinten ging, merkte er, dass Beklommenheit in ihm aufstieg. Er wusste, dass eine Gewalttat geschehen war. Er wusste, dass man Sibyl Adams getötet hatte. Aber darüber hinaus hatte er nicht die geringste Ahnung, was ihn erwartete, als er die Tür zur Damentoilette mit einem Ruck öffnete. Was er sah, raubte ihm buchstäblich den Atem.
Sara saß mitten im Raum, Sibyl Adams' Kopf auf dem Schoß. Überall war Blut, bedeckte den Leichnam, bedeckte Sara, deren Hemd und Hose von oben bis unten durchtränkt waren, als hätte jemand einen Schlauch genommen und sie mit Blut bespritzt. Blutige Schuh- und Handabdrücke hatten Spuren auf dem Fußboden hinterlassen, als sei es hier zu einem furchtbaren Kampf gekommen.
Jeffrey stand in der Türöffnung, ließ alles auf sich wirken und rang nach Luft.
«Mach bitte die Tür zu», flüsterte Sara, deren Hand auf Sbyls Stirn ruhte.
Er tat wie geheißen und ging dann an den Wänden entlang einmal um den Raum. Sein Mund öffnete sich, aber kein Wort kam heraus. Es galt natürlich, die nahe liegenden Fragen zu stellen, aber ein Teil von Jeffrey wollte die Antworten gar nicht wissen. Ein Teil von ihm wollte Sara hinausbringen, sie in sein Auto setzen und mit ihr fahren, bis keiner von beiden sich mehr daran erinnern konnte, wie dieser winzige Toilettenraum aussah und roch. Der morbide Geschmack von Gewalt lag in der Luft, fast greifbar und klebrig saß er in seiner Kehle. Allein schon weil er dort stand, kam er sich beschmutzt vor.
«Sie sieht aus wie Lena», sagte er schließlich. Damit meinte er Sibyl Adams' Zwillingsschwester, die in seiner Truppe Detective war. «Eine Sekunde lang dachte ich schon...» Er schüttelte den Kopf, konnte nicht fortfahren.
«Lena hat längere Haare.»
«Yeah», sagte er, unfähig, den Blick vom Opfer zu wenden. Jeffrey hatte im Laufe der Zeit eine Menge furchtbarer Dinge gesehen, aber noch nie das Opfer eines Gewaltverbrechens persönlich gekannt. Nicht dass er Sibyl Adams gut gekannt hatte, aber in einer so kleinen Stadt wie Heartsdale waren alle Leute Nachbarn.
Sara räusperte sich. «Hast du es Lena schon gesagt?»
Ihre Frage traf ihn wie ein Hammer. Nach zwei Wochen im Amt als Polizeichef hatte er Lena Adams direkt von der Akademie in Macon eingestellt. In jenen ersten Tagen war sie wie Jeffrey ein Außenseiter. Acht Jahre später hatte er sie zum Detective befördert. Mit dreiunddreißig Jahren war sie der jüngste Detective und zudem die einzige Frau unter den höheren Beamten. Und jetzt war ihre Schwester gleichsam auf ihrem Hinterhof ermordet worden, wenig mehr als zweihundert Meter vom Polizeirevier entfernt. Das Gefühl,
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