Belladonna
selbst aus der Gleichung auszuklammern. Jeffrey erwischte sich dabei, dass er seine ehemalige Frau genau musterte, während sie das tat. Sara war hoch gewachsen, über eins achtzig groß, mit tiefgrünen Augen und dunkelrotem Haar. Er ließ seine Gedanken schweifen, erinnerte sich daran, wie gut es gewesen war, mit ihr zusammen zu sein, als der scharfe Ton ihrer Stimme ihn in die Realität zurückriss.
«Jeffrey!», schnauzte Sara und sah ihn streng an.
Er starrte zurück, und er merkte, dass seine Gedanken an einen anderen, scheinbar sichereren Ort gewandert waren.
Sie hielt seinem Blick noch einen Moment stand, wandte sich dann aber zur Toilettenkabine. Jeffrey nahm noch ein Paar Handschuhe aus ihrer Tasche und streifte sie über, während Sara zu ihm sprach.
«Wie ich schon sagte», fing sie an, «saß sie auf der Toilette, als ich sie fand. Wir haben das Gleichgewicht verloren und sind gemeinsam zu Boden gefallen, und danach habe ich sie auf den Rücken gedreht.»
Sara hob Sibyls Hände und untersuchte die Fingernägel. «Nichts. Ich vermute, sie wurde überrascht und wusste gar nicht, wie ihr geschah, bis es zu spät war.»
«Glaubst du, es ist schnell gegangen?»
«So schnell nun auch nicht. Was er getan hat, sieht für mich aus wie geplant. Der Tatort war sehr sauber, bis ich gekommen bin. Sie wäre ins Becken ausgeblutet, wenn ich nicht die Toilette hätte benutzen müssen.» Sara wandte den Blick ab. «Oder vielleicht auch nicht verblutet, wenn ich nicht zu spät hier aufgetaucht wäre.»
Jeffrey versuchte sie zu trösten. «Wie willst du das wissen.»
Sie reagierte mit einem Achselzucken. «Da sind ein paar Quetschungen an ihren Handgelenken, wo sie gegen die Haltegriffe für Behinderte gestoßen ist. Und außerdem» - sie spreizte Sibyls Beine ein wenig - «sieh mal hier, an ihren Beinen.»
Jeffrey folgte ihrer Aufforderung. An der Innenseite beider Knie war die Haut abgeschürft. «Was ist das?», fragte er.
«Der Toilettensitz», sagte sie. «Die untere Kante ist ziemlich scharf. Ich vermute, sie hat die Beine zusammengepresst, als sie sich zur Wehr setzte. Man kann sehen, dass ein wenig Haut daran haften geblieben ist.»
Jeffrey warf einen Blick auf das Toilettenbecken und sah dann wieder Sara an. «Meinst du, er hat sie auf der Toilette nach hinten gedrückt und dann zugestochen?»
Sara antwortete nicht. Stattdessen wies sie auf Sibyls nackten Rumpf. «Der Schnitt ist nicht tief bis etwa zur Mitte des Kreuzes», erklärte sie und drückte auf den Bauch, um die Wunde so zu öffnen, dass er sah, was sie meinte. «Ich nehme an, es war eine doppelseitige Klinge. Man erkennt die V-Form beiderseits des Schnitts.» Ohne Zögern ließ Sara den Zeigefinger in die Wunde gleiten. Dabei machte die Haut ein schmatzendes Geräusch, und Jeffrey sah zähneknirschend zur Seite. Als er sich wieder umdrehte, sah Sara ihn fragend an.
«Alles okay?»
Er nickte, wagte aber nicht, den Mund zu öffnen.
Sie bewegte den Finger im klaffenden Loch in Sibyl Adams' Brust. Blut sickerte aus der Wunde. «Ich würde sagen, es handelt sich mindestens um eine Zehn- Zentimeter-Klinge», schloss sie und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. «Ist dir das hier unangenehm?»
Er schüttelte den Kopf, obwohl sich ihm bei dem Geräusch der Magen umdrehte.
Sara ließ den Finger wieder herausgleiten und fuhr fort: «Es war eine sehr scharfe Klinge. Um den Einstich herum weist nichts auf ein Zögern hin, also muss er, wie ich schon sagte, von Anfang an genau gewusst haben, was er tat.»
«Und was tat er?»
Ihr Tonfall war sachlich. «Er hat ihr ein Zeichen in den Unterleib geschlitzt. Die Schnitte waren sehr überlegt, einmal von oben nach unten, einmal quer und dann noch ein Stich in den Oberkörper. Ich würde denken, das war die tödliche Wunde. Todesursache ist wahrscheinlich Verbluten.»
«Sie ist verblutet?»
Sara zuckte die Achseln. «Im Augenblick deutet noch alles darauf hin, ja. Sie ist verblutet. Es hat wahrscheinlich ungefähr zehn Minuten gedauert. Die Krämpfe waren Folge des Schocks.»
Jeffrey konnte den Schauder nicht unterdrücken, der ihn überkam. Er deutete auf die Wunden. «Das ist doch ein Kreuz, oder?»
Sara schaute sich die Schnitte genau an. «Würde ich auch sagen. Ich meine, was anderes kann es doch kaum sein, oder?»
«Meinst du, es soll so etwas wie eine religiöse Aussage sein?»
«Wer kann das bei einer Vergewaltigung schon sagen?», erwiderte sie und stutzte, als sie seinen Gesichtsausdruck
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