Belles Lettres
kommen sie stinknormal vor», sagte Mr. Margin. «Neulich hat er mir eine gezeigt, an der er zwei Tage gearbeitet hat. Es ging um eine Rezension über eine Stadtgeschichte von New York City. Die Überschrift lautete: ‹ So war New York › .»
«Und was halten Sie von seinem unbescheidenen Vorschlag?» fragte ich. «Verdankt sich der etwa auch seinen Überschriften?» Zwischen Ralph Ellison und Allen Ginsberg hatte Chuckle sich selbst unter die fünfundzwanzig besten Schriftsteller Amerikas eingereiht.
«Vor einigen Jahren», sagte Mr. Margin, «hat er ein paar Romane veröffentlicht. Sie erschienen und verschwanden. Als ich hier damals zur Probe eingestellt wurde, hat er mir Widmungsexemplare geschenkt. Ich habe sie nicht zu Ende gelesen, aber ich wußte natürlich, daß er auf meine Reaktion wartete, und da habe ich ihm schließlich gesagt,
daß ich sie für gut und seriös hielt.» «War er damit zufrieden?» fragte ich. «Ich glaube schon, obwohl er hinzufügte: ‹ und witzig › .» «Aber Sie haben sie nie gelesen?»
«Nein. Aber verraten Sie ihm das um Himmels willen nicht!»
«Natürlich nicht!» sagte ich. Ich hätte sie selber ja auch nicht gelesen. Chuckle, dessen Bruder Pavel vor mehr als zwanzig Jahren mit Winifred Buckram durchgebrannt war, war offensichtlich ein trauriger Fall. Er mußte Ende Fünfzig sein, ein großer, dünner Mann, dem die Haare ausgingen, mit Halbbrille und verwitterten Gesichtszügen. Ich wußte zwar, daß er für Belles Lettres die Überschriften schrieb, aber ich hatte keine Ahnung, daß er die ganze Woche lang nichts anderes tat. Wenn er sich grübelnd über seine Schreibmaschine beugte und plötzlich zügig zu tippen begann, war ich mir sicher, daß er mehr als Überschriften komponierte.
«Tja, was machen wir jetzt, Frank?»
«Wir müssen die Liste selber aufstellen. Wir übernehmen Chuckles Vorschläge, schmeißen die Penner raus, fügen drei oder vier Großmuftis dazu, sagen der Werbeabteilung, daß sie schon mal die Gerüchteküche brodeln läßt, und bringen das Scheißding mit einer kurzen, knackigen, bombastischen Einleitung.»
Mr. Margin nickte und seufzte philosophisch.
Die Versuchungen von Verlegerseite, die unsere Liste beeinflussen wollten (Mr. Margin hatte sie für unwiderstehlich gehalten), blieben aus. Ein zuckersüßes Werbemädchen lud mich allerdings zum Mittagessen ein, weil sie mit mir über einen ihrer Autoren diskutieren wollte. Ich erklärte ihr, was sie selber wissen mußte, daß die Redakteure von Belles Lettres keine Essenseinladungen aus der Verlagsbranche annehmen dürften. Sie fragte, ob das auch für Essen gelte, das aus Resten bestehe und von einer Amateurköchin in ihrem privaten Reich serviert würde. Ich sagte, daß ich das eher nicht glaubte, und so verabredeten wir uns. Aus keinem anderen Grund, als Mr. Margin zu amüsieren, erwähnte ich ihm gegenüber die Einladung.
«Um welchen Autor geht's denn?» fragte er.
Ich nannte den Namen.
«Der kommt doch sowieso auf die Liste.»
«Das habe ich ihr mehr oder weniger auch schon gesagt», sagte ich, «aber sie möchte eben gern mit mir reden.»
«Ich habe den Verdacht, daß sie Sie auf ihre Abschußliste setzen will», sagte er, und am Morgen des Tages, an dem das Essen stattfinden sollte, erklärte er mir, daß ich zu viel gearbeitet hätte und den Nachmittag frei nehmen sollte. Es stellte sich dann heraus, daß sie nicht nur über ihren Autor reden, sondern ihn in der nächsten Woche heiraten wollte.
Auf der Basis von Faircopys Liste erstellte ich eine eigene, fügte zehn Namen hinzu, damit Mr. Margin und ich genügend Verhandlungsmasse haben würden, und wenn man unseren Altersunterschied bedenkt, wurden wir uns schnell einig. Wir laborierten nur etwas länger an John Barth, Donald Barthelme und Thomas Pynchon herum. Ohne zu verraten, wer sich für wen stark machte, darf ich doch sagen, daß uns ein honoriges Tauschgeschäft gelang.
Ich zeigte Chuckle die Liste, um ihm zu sagen, daß sie wesentlich auf seiner Auswahl beruhte, und um ihn schonend darauf vorzubereiten, daß sein Name fehlte. Er sagte, daß er nicht beleidigt sei, da er ohnehin bezweifelt habe, daß Mr. Margin oder ich seine Bücher gelesen hätten.
Mr. Margin rief die Redakteure in sein Zimmer. Claire Tippin, seine Sekretärin, hatte Kopien der Liste gemacht und verteilte sie wie Speisekarten.
«Zuerst einmal», sagte Margin, «möchte ich mich bei Ihnen für Ihre äußerst bedenkenswerten Vorschläge
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